12 - Im Auge des Tigers
Fehler begehen, diese Männer und ihre Fähigkeiten zu unterschätzen…
Ebenso wenig würde er sich der Illusion hingeben, sie seien seine Freunde. Sie konnten ebenso skrupellos sein wie seine eigenen Männer, das war ihm klar. Diejenigen, die Gott verleugneten, waren keinen Deut weniger gefährlich als diejenigen, die in seinem Namen handelten.
»Und was bieten Sie uns?«
»Wir operieren seit langem in Europa«, erklärte Mohammed. »Sie wünschen Ihre Vermarktung dort voranzutrei-ben. Wir verfügen seit über zwanzig Jahren über ein auf hohem Niveau abgesichertes Netzwerk. Der Wandel im 120
europäischen Binnenhandel – die Öffnung der Grenzen und so weiter – kommt Ihnen zustatten, ebenso wie er uns zustatten gekommen ist. Wir haben eine Zelle in der Hafenstadt Piräus, die Ihren Bedürfnissen ohne weiteres gerecht werden kann, und außerdem Kontakte zu internationalen Speditionen. Wenn unsere Waffen und Leute auf diesem Weg transportiert werden können, wird es ein Leichtes sein, auch Ihre Ware zu transportieren.«
»Wir brauchen eine Liste mit Namen von Leuten, mit denen wir die technischen Details besprechen können«, teilte Ernesto seinem Besucher mit.
»Ich habe eine mitgebracht.« Mohammed deutete auf sein Notebook. »Diese Leute sind daran gewöhnt, ihre Dienste mit Geld vergütet zu bekommen.« Er nahm zur Kenntnis, dass sein Gastgeber nickte, ohne sich zu erkundigen, mit wie viel Geld – für ihn offenbar eine nebensächliche Frage.
Ernesto und Pablo hatten sich die Sache genau überlegt.
In Europa lebten 300 Millionen Menschen. Zweifellos wür-de es darunter viele Abnehmer für kolumbianisches Kokain geben. In manchen europäischen Ländern war der Drogen-konsum an diskreten, überwachten – und besteuerten –
Orten sogar erlaubt. Daraus ergaben sich zwar keine nennenswerten Profite, aber es entstand eine Atmosphäre, die für das Geschäft vorteilhaft war. Und nichts, nicht einmal Heroin in medizinischer Qualität, war so gut wie Koks aus den Anden. Dafür würden die Leute ihre Euros hinblättern, und zwar genug, um das Geschäft profitabel zu machen.
Das Risiko lag natürlich im Vertrieb. Es würden mit Sicherheit ein paar unvorsichtige Straßendealer verhaftet werden, und manche von denen würden reden. Entsprechend dicht mussten die Schotten zwischen dem Groß- und dem Ein-zelhandel sein, aber auf so etwas verstand man sich. So professionell die Polizei in Europa auch sein mochte, im Grunde konnte sie sich kaum wesentlich von der amerikanischen unterscheiden. Einige Polizisten würden sogar freudig ihre Euros vom Kartell einstreichen und dafür die 121
Scharniere gängig halten. Geschäft war Geschäft. Und wenn dieser Araber dabei behilflich sein konnte – kostenlos, was wirklich bemerkenswert war –, umso besser. Äußerlich zeigten Ernesto und Pablo keine Reaktion auf das Geschäftsangebot, das da auf dem Tisch lag. Ein Außenstehender hätte ihren Ausdruck als Desinteresse deuten können. In Wahrheit waren sie natürlich alles andere als desin-teressiert. Dieses Angebot war ein Geschenk des Himmels.
Sie würden einen völlig neuen Markt erschließen und von den Einnahmen, die daraus fließen würden, womöglich ihr eigenes Land gänzlich kaufen können. Natürlich müssten sie sich an die dortigen Bedingungen anpassen, doch sie konnten es sich leisten, Lehrgeld zu zahlen, und sie waren wandlungsfähige Geschöpfe – gewissermaßen Fische, die in einem Meer aus Bauern und Kapitalisten schwammen.
»Wie treten wir mit diesen Leuten in Kontakt?«, erkundigte sich Pablo.
»Meine Leute werden Sie einführen.«
Das wird ja immer besser, dachte Ernesto.
»Und welche Gegenleistungen verlangen Sie von uns?«, fragte er schließlich.
»Wir brauchen Ihre Hilfe, um Menschen nach Amerika zu befördern. Wie packen wir die Sache an?«
»Wenn es konkret darum geht, Personen aus Ihrem Teil der Welt nach Amerika einzuschleusen, ist die beste Methode, sie mit dem Flugzeug nach Kolumbien einreisen zu lassen – genauer gesagt, hierher nach Cartagena. Wir werden dann den Weiterflug in andere spanischsprachige Länder im Norden arrangieren, zum Beispiel nach Costa Rica.
Von dort aus können Ihre Leute, sofern sie über geeignete Reisedokumente verfügen, entweder direkt mit einer amerikanischen Fluggesellschaft in die USA fliegen oder über Mexiko. Wenn sie von der äußeren Erscheinung her als Lateinamerikaner durchgehen und ausreichend Spanisch sprechen, könnte man sie über die
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