12 - Im Auge des Tigers
gelernt?«, fragte Bell.
»Einiges, denke ich«, erwiderte Jack. Insbesondere hatte er von Mike Brennan, der sämtliches diplomatisches Brim-borium herzlich verabscheute, gelernt, den politischen Kram, der dort tagtäglich über die Bühne ging, mit keinem Wort zu kommentieren. Oft genug hatte Brennan mit seinen ausländischen Kollegen darüber gesprochen, die in den Hauptstädten ihrer Heimatländer das Gleiche beobachteten und ganz ähnlich darüber dachten, während sie mit unbewegter Miene auf ihren Posten standen. Wahrscheinlich, so dachte Jack, war er seinem Vater durch diese Art der Lehre in einigen Dingen voraus. Dieser hatte erst nach dem 127
Sprung ins kalte Wasser gezwungenermaßen schwimmen gelernt, um nicht unterzugehen. Seinem Vater selbst war dazu nie ein Wort über die Lippen gekommen, außer wenn er seinem Zorn über die fortschreitende Korruption Luft machte.
»Passen Sie auf, was Sie gegenüber Gerry darüber verlau-ten lassen«, sagte Bell. »Er kann nicht oft genug betonen, wie sauber und aufrichtig es im Vergleich dazu im Brokergeschäft zugeht.«
»Dad mag Gerry wirklich gern. Ich glaube, die beiden haben ein paar Gemeinsamkeiten.«
»Nein«, korrigierte ihn Bell, »die beiden haben eine ganze Menge Gemeinsamkeiten.«
»Hendley ist damals wegen des Unfalls aus der Politik ausgestiegen, oder?«
Bell nickte. »Genau. Warten Sie ab, bis Sie selbst Frau und Kinder haben. So was ist so ziemlich der härteste Schlag für einen Mann. Schlimmer, als Sie sich vielleicht vorstellen können. Er musste auch noch die Leichen identifizieren.
Das war weiß Gott kein schöner Anblick. So mancher hätte sich danach eine Kugel in den Kopf gejagt. Aber er nicht. Er hatte zuvor mit dem Gedanken gespielt, selbst als Präsi-dentschaftskandidat anzutreten, dachte vielleicht, Wendy würde eine gute First Lady abgeben. Wie dem auch sei, mit seiner Frau und den Kindern sind auch seine Ambitionen auf das Amt gestorben.« Mehr ließ Bell nicht durchblicken.
Die hochrangigen Leute auf dem Campus schützten den Boss, wenigstens seinen Ruf. In ihren Augen war Hendley ein Mann, der Loyalität verdiente. Eine Nachfolgeregelung gab es auf dem Campus nicht. Niemand hatte bisher so weit vorausgedacht, und auf den Vorstandssitzungen kam das Thema nie zur Sprache. Dort ging es ohnehin hauptsächlich um nichtgeschäftliche Angelegenheiten. Er fragte sich, ob John Patrick Ryan jr. diesen weißen Fleck im Gefüge des Campus bemerken würde. »Nun, wie ist Ihr bisheriger Eindruck?«, fragte Bell.
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»Ich habe die Transkriptionen gelesen, die ich bekommen habe – das Hin und Her zwischen den Zentralbank-Bossen.
Erstaunlich, wie da manchmal der Korruption Tür und Tor offen steht!« Jack schwieg kurz. »Tja, sollte mich wohl eigentlich nicht überraschen, was?«
»Wenn Menschen so viel Geld oder Macht anvertraut wird, kommt es zwangsläufig zu Korruption. Was mich dabei überrascht, das sind die Freundschaften über Grenzen hinweg. Viele dieser Typen profitieren persönlich davon, wenn ihre eigene Währung in den Keller geht, was für ihre Landsleute allerdings einige Unannehmlichkeiten mit sich bringt. In den alten Zeiten verkehrte der Adel häufig zwangloser mit dem Adel anderer Länder als mit dem Volk im eigenen Land, das demselben König untertan war. Diese Eigentümlichkeit ist bis heute nicht ausgestorben – wenigstens da drüben nicht. Hier tun sich die Großindustriellen vielleicht mal zusammen, um den Kongress zu beeinflussen, aber dabei werden in der Regel keine Geschenke gemacht und auch keine Geschäftsgeheimnisse ausgeplaudert. Verschwörung auf solch hoher Ebene ist zwar nicht unmöglich, aber kaum über einen längeren Zeitraum geheim zu halten. Zu viele Beteiligte, von denen jeder einen Mund hat. In Europa entwickeln sich die Verhältnisse derzeit ähnlich. Die Medien – ob hüben oder drüben – lieben nichts mehr als einen Skandal und fallen lieber über einen reichen Betrüger her als über einen Kabinettsminister. Immerhin ist Letzterer häufig eine gute Quelle – Ersterer ist einfach nur ein Schuft.«
»Und wie sorgen Sie hier dafür, dass Ihre Leute sauber bleiben?«
Gute Frage, dachte Bell, und zwar eine, die ihnen ständig Kopfschmerzen bereitete, auch wenn nicht viel darüber gesprochen wurde.
»Wir bezahlen unsere Mitarbeiter recht ordentlich, und darüber hinaus sind sie alle an einem Investmentplan beteiligt, der zusätzlich für ein gutes Klima sorgt. Die jährliche 129
Rendite lag
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