12 - Im Auge des Tigers
in den letzten paar Jahren immerhin bei rund neunzehn Prozent.«
»Nicht schlecht«, untertrieb Jack jr. »Und das ist alles legal?«
»Kommt drauf an, welchen Juristen man das fragt, aber kein Staatsanwalt wird deswegen den Aufstand proben, und wir achten sehr darauf, wie wir das Ganze abwickeln.
Für Habgier haben wir hier nichts übrig. Wir könnten aus diesem Unternehmen die größte Sache seit Ponzi machen, aber dann würden wir Aufmerksamkeit auf uns ziehen.
Also halten wir uns bedeckt. Wir nehmen genügend ein, um unsere Operationen zu finanzieren und unsere Leute gut zu versorgen.« Sie verfolgten auch den Weg, den das Geld ihrer Angestellten nahm, und deren Geschäfte, sofern sie welche machten. Das taten allerdings die wenigsten.
Manche führten Konten, die über das Unternehmen liefen, was wiederum profitabel, aber nicht raffgierig war. »Sie, Jack, müssen uns ebenfalls die Kontonummern und Zu-gangscodes ihrer sämtlichen persönlichen Geldanlagen nennen, und die Computer werden sie überwachen.«
»Mein Dad hat für mich Geld in Treuhandfonds angelegt, aber das wird von einem Anlagenunternehmen in New York verwaltet. Ich bekomme regelmäßig eine hübsche Summe, habe jedoch keinen Zugriff auf das Kapital. Was ich selbst verdiene, gehört dagegen mir allein, sofern ich es nicht auch dem Anlagenunternehmen schicke. Dann betreuen sie es für mich und schicken mir jedes Quartal eine Abrechnung. Wenn ich dreißig werde, darf ich allein damit spielen.« Dreißig zu werden, war für den jungen Jack jedoch noch eine zu entfernte Aussicht, als dass er sich dar-
über im Augenblick Gedanken gemacht hätte.
»Das wissen wir«, versicherte Bell, »und es geht nicht um mangelndes Vertrauen. Wir wollen nur sichergehen, dass nicht unbemerkt jemand zum Spieler wird.«
Wahrscheinlich waren die Regeln für Glücksspiele von den besten Mathematikern aller Zeiten entwickelt worden, 130
dachte Bell. Die Illusion, man könnte tatsächlich gewinnen, war gerade stark genug, die Leute zu ködern. Die gefährlichste aller Drogen war dem menschlichen Geist angeboren. Und wiederum lautete ihr Name »Ego«.
»Ich werde also auf der weißen Seite des Hauses anfangen? Kursschwankungen beobachten und so?«, fragte Jack.
Bell nickte. »Korrekt. Sie müssen zunächst mal die Sprache lernen.«
»Alles, was recht ist.« Sein Vater hatte erheblich bescheidener angefangen, als kleiner Angestellter in der Kaltakqui-sition bei Merrill Lynch. Klein anzufangen, war vermutlich schlecht für’s Ego, aber gut für die Seele. Sein Vater hatte ihm oft Vorträge über die Tugend der Geduld gehalten. Er sagte, sie zu erwerben, sei ein Scheißspiel, selbst im Rückblick. Aber es gab nun einmal Spielregeln, selbst hier. Ganz besonders hier, wie Jack bei näherem Nachdenken klar wurde. Er fragte sich, was auf dem Campus wohl mit Leuten geschah, die sich nicht an die Spielregeln hielten. Bestimmt nichts Gutes.
»Buon Vino«, bemerkte Dominic. »Für eine staatliche Einrichtung haben die hier gar keinen schlechten Weinkeller.«
Auf dem Etikett stand Jahrgang 1962 – lange bevor er und sein Bruder überhaupt zur Welt gekommen waren… Selbst ihre Mutter hatte zu der Zeit noch von der Mercy High School geträumt, ein paar Blocks neben dem Haus der Großeltern am Loch Raven Boulevard in Baltimore. Das schien ungefähr so weit zurückzuliegen wie das Ende der letzten Eiszeit. Aber Baltimore war auch verdammt weit von Seattle entfernt, wo sie aufgewachsen waren. »Wie alt ist dieses Haus?«, fragte er Alexander.
»Das Anwesen stammt noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Der Bau des Hauses wurde Siebzehnhundertir-gendwas begonnen. Später ist es niedergebrannt und 1882
wieder aufgebaut worden. Es gelangte in staatlichen Besitz, kurz bevor Nixon zum Präsidenten gewählt wurde. Der 131
Eigentümer, J. Donald Hamilton, war Geheimdienstler im Zweiten Weltkrieg – ein alter OSS-Bursche, hat unter Donovan gearbeitet. Er hat Haus und Grundstück zu einem an-ständigen Preis verkauft, ist nach New Mexico gezogen und dort 1986 gestorben, meines Wissens im Alter von vierund-neunzig. Soll seinerzeit ein einflussreicher Mann gewesen sein, hat im Ersten Weltkrieg so einiges mitgemacht und später ›Wild Bill‹ in seinem Kampf gegen die Nazis unterstützt. In der Bibliothek hängt ein Gemälde von ihm – muss eine recht imposante Erscheinung gewesen sein. Und von Wein verstand er in der Tat was. Dieser hier kommt aus der Toskana.«
»Schmeckt gut
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