12 - Im Auge des Tigers
zu Kalbfleisch«, sagte Brian. Er hatte an diesem Abend gekocht.
»Dieses Kalbfleisch schmeckt zu allem gut. Das haben Sie nicht bei den Marines gelernt«, bemerkte Alexander.
»Von Pop. Er kocht besser als Mom«, erklärte Dominic.
»Alte Heimat, wissen Sie. Und Großvater, der Mistkerl, hat es auch immer noch drauf. Wie alt ist er jetzt, Aldo? Zwei-undachtzig?«
»Letzten Monat geworden«, bestätigte Brian. »Komischer alter Kauz, reist um die halbe Welt, um nach Seattle zu kommen, und dann setzt er in den nächsten sechzig Jahren keinen Fuß mehr aus der Stadt.«
»Er wohnt schon seit vierzig Jahren im selben Haus«, füg-te Dominic hinzu, »einen Block vom Restaurant entfernt.«
»Ist dieses Rezept von ihm?«
»Worauf Sie einen lassen können, Pete. Unsere Familie stammt ursprünglich aus Florenz. Als die Fleet Marine Force Mittelmeer vor zwei Jahren den Hafen von Neapel zu einem Freundschaftsbesuch anlief, war ich mal da. Großvaters Cousin betreibt ein Restaurant ein Stückchen flussaufwärts der Ponte Vecchio. Als die erfuhren, wer ich bin, haben sie sich förmlich überschlagen, mich zu bekochen. Die Italiener lieben die Marines, müssen Sie wissen.«
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»Muss an der grünen Uniform liegen, Aldo«, sagte Dominic.
»Vielleicht auch an meiner männlichen Erscheinung, Enzo
– schon mal auf die Idee gekommen?«, versetzte Captain Caruso.
»Klar«, erwiderte Special Agent Caruso und nahm noch einen Bissen von dem Kalb alla francese. »Vor uns sitzt Rockys Nachfolger«, wandte er sich an Alexander.
»Seid ihr Jungs eigentlich immer so?«, gab jener zurück.
»Nur wenn wir getrunken haben«, erwiderte Dominic, und sein Bruder lachte.
»Enzo verträgt wirklich keinen Tropfen. Wir Marines dagegen sind natürlich in jeder Hinsicht hart im Nehmen.«
»Und das muss ich mir von jemandem sagen lassen, für den Miller Lite echtes Bier ist?«, fragte der FBI-Caruso.
»Eigentlich heißt es doch immer, Zwillinge seien sich ähnlich«, warf Alexander ein.
»Nur eineiige. Mom hat in dem betreffenden Monat zwei Eier ausgebrütet. Mom und Dad haben uns aber nur solange verwechselt, bis wir etwa ein Jahr alt waren. Wir sind uns überhaupt nicht ähnlich, Pete«, verkündete Dominic, und die Brüder grinsten einhellig.
Alexander wusste es besser. Der größte Unterschied zwischen den beiden war die Kleidung – und das ließ sich schnell ändern.
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Kapitel 5
Verbündete
Mohammed nahm die nächste Maschine der Fluggesellschaft Avianca nach Mexico City, wo er auf den British-Airways-Flug 242 nach London wartete. In der Anonymität von Flughäfen fühlte er sich sicher. Das Essen hier in Mexico war zwar ein heikles Thema, denn er befand sich schließ-
lich in einem Land der Ungläubigen, aber in der Erste-Klasse-Lounge war er vor ihrer kulturellen Barbarei weit-gehend geschützt. Zudem stellten die vielen bewaffneten Polizisten sicher, dass Leute von Mohammeds Schlag hier nicht einfach reinspazierten und die Party hochgehen lie-
ßen. Mohammed suchte sich einen Eckplatz, weit weg von den Fenstern, und begann, um sich nicht zu Tode zu lang-weilen, in einem Buch zu schmökern, das er in einem der unzähligen Läden aufgetrieben hatte. An Orten wie diesem las er selbstverständlich niemals den Koran oder irgendetwas, das in Verbindung zum Nahen Osten stand – am Ende hätte ihn jemand darauf angesprochen und ihm unangenehme Fragen gestellt. Wenn er nicht riskieren wollte, ein so jähes vorzeitiges Ende zu finden wie der Jude in Rom, musste er wie jeder professionelle Nachrichtendienstler 134
seine Tarnung sorgfältig aufrechterhalten. Selbst auf der Toilette ließ seine Wachsamkeit keine Sekunde lang nach –
schließlich beabsichtigte er keinesfalls, dem gleichen Trick zum Opfer zu fallen wie Greengold.
Er verzichtete auch darauf, sein Notebook zu benutzen, obwohl er reichlich Gelegenheit dazu gehabt hätte. Je unauffälliger, desto besser, sagte er sich. In 24 Stunden würde er wieder das europäische Festland erreicht haben. Ihm wurde bewusst, dass er mehr Zeit in der Luft verbrachte als an irgendeinem Ort auf der Erde. Er hatte kein Zuhause, nur eine Reihe sicherer Häuser, die allerdings womöglich gar nicht so sicher waren. Saudi-Arabien war seit beinahe fünf Jahren tabu für ihn, Ähnliches galt für Afghanistan.
Merkwürdig – die einzigen Staaten, in denen er sich wenigstens annähernd sicher fühlen konnte, waren die christlichen Länder Europas, gegen die die Muslime im Laufe der
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