12 - Im Auge des Tigers
keine –
das heißt, noch nicht.«
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte der junge Ryan.
Ein Lächeln. »Nein.«
»Darüber haben wir in Quantico einiges gelernt«, sagte Dominic. Sie standen in einem mittelgroßen Einkaufszentrum, das nicht weit von der University of Virginia entfernt war und daher von zahlreichen Collegestudenten besucht wurde.
»Was denn zum Beispiel?«, fragte Brian.
»Dass man den Standort wechseln und die Zielperson aus unterschiedlichen Perspektiven beobachten muss.
Dass man versuchen soll, sein Äußeres zu verändern –
Sonnenbrille und so. Perücken, sofern verfügbar. Wendejacken. Die Zielperson nicht anstarren, ihrem Blick aber auch nicht ausweichen. Im günstigsten Fall kommen auf eine Zielperson mehrere Agenten. Einer allein kann einen gut ausgebildeten Gegner nicht sehr lange beschatten, ohne bemerkt zu werden. Selbst unter optimalen Voraussetzungen ist es schwer, einem geschulten Gegner auf den Fersen 142
zu bleiben. Darum haben die großen Behörden SSGs – Spezial-Überwachungs-Gruppen. Die bestehen aus FBI-Mitarbeitern, die aber nicht vereidigt sind und keine Schusswaffen tragen. Manche nennen sie die Baker Street Gang, nach Sherlock Holmes. Die sehen nach allem aus, nur nicht nach Polizisten – sie tarnen sich als Penner, Arbeiter im Blaumann, als ganz normale Leute, wie man sie ständig auf der Straße trifft. Manche sind dreckig. Manche schnor-ren Passanten an. Ich habe in der New Yorker Einsatzzentrale mal welche aus den Abteilungen organisierte Kriminalität und Spionageabwehr getroffen. Das sind Profis, aber sie sehen so amateurhaft aus, wie man es sich gar nicht vorstellen kann.«
»Solche schwer beschäftigten Leute in der Überwachung?«, fragte Brian seinen Bruder.
»Hab’s nie selbst versucht, aber nach dem, was ich gehört habe, braucht man dazu eine Menge Leute – so fünfzehn oder zwanzig auf eine Zielperson, plus Autos und Hubschrauber –, und wenn der Kerl, hinter dem sie her sind, richtig gut ist, kann er einem selbst dann noch ein Schnipp-chen schlagen. Vor allem die Russen – diese Bastarde sind wirklich verdammt gut ausgebildet.«
»Und was zum Teufel machen wir jetzt hier?«, fragte Captain Caruso.
»Sie sollen bloß die Grundlagen lernen«, erklärte Alexander. »Sehen Sie die Frau da drüben mit dem roten Pullover?«
»Die mit den langen schwarzen Haaren?«, fragte Brian.
»Genau die«, bestätigte Pete. »Finden Sie raus, was sie kauft, was für ein Auto sie fährt und wo sie wohnt.«
»Nur wir zwei?«, fragte Dominic. »Sie stellen wohl ganz bescheidene Ansprüche, wie?«
»Habe ich jemals was von einem leichten Job gesagt?«, fragte Alexander mit unschuldiger Miene zurück. Dann händigte er den beiden Funkgeräte aus. »Die Kopfhörer stecken Sie in die Ohren, und das Mikrofon klemmen Sie 143
sich an den Kragen. Reichweite etwa drei Kilometer. Sie haben beide Ihre Autoschlüssel.« Und damit machte er kehrt und steuerte auf ein Eddie-Bauer-Geschäft zu, um sich Shorts zu kaufen.
»Willkommen in der Scheiße, Enzo«, sagte Brian.
»Wenigstens hat er uns Instruktionen gegeben.«
»Ja, und zwar ungemein ausführliche.«
Die Zielperson hatte inzwischen ein Ann-Taylor-Geschäft betreten. Die beiden Carusos gingen in die entsprechende Richtung und kauften sich zur behelfsmäßigen Tarnung jeder einen großen Becher Kaffee bei Starbucks.
»Wirf den Becher nicht weg«, wies Dominic seinen Bruder an.
»Warum nicht?«, erkundigte sich Brian.
»Für den Fall, dass du mal pissen musst. Die Bedürfnisse des menschlichen Körpers pflegen in derartigen Situationen die ausgefeilteste Planung zu durchkreuzen. Praktische Lektion aus einem Kurs an der Akademie.«
Brian erwiderte nichts darauf, doch es erschien ihm einleuchtend. Nacheinander legten sie ihre Funkausrüstung an und vergewisserten sich, dass die Geräte funktionierten.
»Aldo für Enzo, over«, sendete Brian über Kanal 6.
»Enzo hört, Bruderherz. Ich würde sagen, wir behalten die Zielperson abwechselnd im Auge, bleiben dabei aber in Sichtkontakt zueinander, okay?«
»Klingt vernünftig. Gut, ich geh zu dem Geschäft rüber.«
»Zehn-vier – das heißt für dich: Habe verstanden, Brüderchen.« Dominic beobachtete, wie sich sein Bruder entfernte.
Dann widmete er sich seinem Kaffee und warf dabei einen Blick auf die Zielperson. Allerdings sah er nicht genau in ihre Richtung, sondern etwa 20 Grad an ihr vorbei.
»Was macht sie?«, fragte Aldo.
»Sieht aus, als wollte sie
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