12 - Im Auge des Tigers
noch über fünfundzwanzig Kilo Gepäck auf dem Buckel hat.«
»Muss spaßig sein«, sagte Dominic nicht ohne Respekt zu seinem Bruder.
»Kann ich dir sagen. Okay, Pete, was steht für heute sonst noch Nettes auf dem Plan?«
»Gehen Sie erst mal duschen«, riet Alexander. Immerhin hatte er jetzt geklärt, dass die beiden anständig in Form waren – nicht dass er ernsthaft daran gezweifelt hätte. So 137
wichtig war es ohnehin nicht, bis auf den Nutzen, den er eben genannt hatte. Nun konnten sie sich der schwierigeren Materie widmen. Den wirklich wichtigen Dingen.
»Der Dollar rutscht ab«, teilte Jack seinem neuen Boss mit.
»Wie tief?«
»Nur ein kleiner Knick. Die Deutschen werden zugunsten des Euro Dollars verkaufen, etwa in der Größenordnung von fünfhundert Millionen.«
»Ist das eine große Sache?«, fragte Sam Granger.
»Das fragen Sie mich?«, entgegnete Jack.
»Ganz recht. Sie müssen eine Meinung haben. Die muss nicht unbedingt stimmen, nur begründet sollte sie sein.«
Jack Ryan jr. überreichte seinem Gegenüber die Abhör-protokolle. »Ein Gespräch zwischen diesem Dieter und seinem französischen Kollegen. Er spricht darüber, als wäre es eine völlig routinemäßige Transaktion, aber der Übersetzer sagt, da schwingt ein verdächtiger Unterton mit. Anscheinend führt der Bursche was im Schilde. Für solche Feinheiten reichen meine Deutschkenntnisse allerdings nicht aus«, berichtete der junge Ryan seinem Boss. »Ich kann nicht behaupten, dass mir klar wäre, warum sich die Deutschen und die Franzosen gegen uns verschwören sollten.«
»Die Deutschen haben ein akutes Interesse am Schmuse-kurs mit Frankreich. Ein langfristiges beiderseitiges Bündnis halte ich allerdings eher für unwahrscheinlich. Im Grunde haben die Franzosen Angst vor den Deutschen, und die Deutschen blicken auf die Franzosen hinab. Aber die Franzosen haben imperiale Ambitionen – na ja, die haben sie schon von jeher. Sehen Sie sich nur mal die Beziehungen zwischen Frankreich und Amerika an. Wie Bruder und Schwester im Alter von zwölf oder so. Sie lieben sich, aber zugleich beharken sie sich ständig. Zwischen Deutschland und Frankreich verhält es sich ähnlich, allerdings ist der Fall da noch komplexer. Früher haben die Franzosen 138
auf den Deutschen rumgetrampelt, bis die Deutschen endlich zu Potte gekommen sind und fortan auf den Franzosen rumgetrampelt haben. Und beide Länder sind nachtragend.
Das ist der Fluch Europas. Da liegt eine Menge Zündstoff in der Geschichte, und diese Länder schaffen es einfach nicht, das Ganze zu begraben.«
»Was hat das mit dieser Sache hier zu tun?«, fragte der junge Ryan.
»Unmittelbar gar nichts, aber es trägt zum Verständnis bei, wenn man die Hintergründe kennt. Vielleicht heckt dieser deutsche Banker irgendein Spielchen aus und versucht deshalb, den anderen Typen einzuwickeln. Und vielleicht macht der Franzose ihm vor, er ließe sich einwickeln, um der französischen Zentralbank in Berlin ein paar Punkte zu sichern. Schon ein eigenartiges Spiel. Man darf den Gegner nicht zu übel niedermachen, weil er dann nicht mehr mit einem spielt, und außerdem muss man sich ja nicht mit Gewalt Feinde schaffen. Im Großen und Ganzen ist das wie beim Pokerspiel unter Nachbarn – wer zu oft gewinnt, macht sich unbeliebt und verdirbt sich selbst den Spaß, weil am Ende keiner mehr mit ihm pokern will. Wenn man der Trottel in der Runde ist, verbünden sich die anderen in aller Nettigkeit gegen einen und nehmen einen aus – nicht so sehr, dass es einem wirklich wehtut, aber genug, um sich selbst zu bestätigen, welch clevere Kerle sie doch sind. Im Endeffekt hält jeder mit seinen Fähigkeiten ein kleines bisschen hinterm Berg, und es herrscht Friede, Freude, Eierku-chen. Ohnehin sind die da drüben alle nur einen General-streik von einer nationalen Liquiditätskrise größeren Ausmaßes entfernt, und wenn solch ein Fall mal eintritt, ist man auf Freunde angewiesen. Und nicht zu vergessen: Die Zent-ralbankchefs da drüben betrachten die übrige Bevölkerung des Kontinents als Bauerntölpel. Das schließt gegebenenfalls auch die jeweiligen Regierungsoberhäupter ein.«
»Und uns?«
»Uns Amerikaner? Tja – als niedrig geborene, schlecht 139
ausgebildete – aber vom Glück überaus begünstigte – Bauerntölpel.«
»Mit großen Schießgewehren«, fügte Little Jack hinzu.
»Ja, klar, Bauern mit Gewehren machen die Aristokraten von jeher nervös«, stimmte Granger zu, der
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