12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Wißt ihr, was die Pflicht eines tapferen Kriegers ist, wenn er einen Feind bekämpfen will?“
Sie sahen zu Boden und antworteten nicht.
„Ein tapferer Ben Arab kommt nicht wie ein Meuchelmörder; er sendet einen Boten, um den Kampf zu verkündigen, damit der Streit ein ehrlicher sei. Haben eure Anführer dies getan?“
„Wir wissen es nicht, o Scheik!“
„Ihr wißt es nicht? Allah verkürze eure Zungen! Euer Mund trieft von Lüge und Falschheit! Ihr wißt es nicht und hattet doch den Auftrag, das Tal Deradsch zu bewachen, damit ich keine Kunde von eurem Einfall erhalten könne! Ich werde euch und die euren so behandeln, wie sie es verdienen. Man rufe Abu Mansur, den Besitzer des Messers!“
Einer der Anwesenden entfernte sich und kehrte bald darauf mit einem Mann zurück, der ein Kästchen bei sich trug.
„Man binde sie, daß sie sich nicht regen können, und nehme ihnen das Marameh (Tuch, welches anstatt des Turbanes auf dem Kopf getragen wird) ab!“
Dies geschah, und dann wandte sich der Scheik an den neu Angekommenen:
„Was ist die Zierde des Mannes und des Kriegers, o Abu Mansur?“
„Das Haar, welches sein Angesicht verschönt.“
„Was gehört einem Mann, der sich fürchtet, wie ein Weib, und der die Unwahrheit sagt, wie die Tochter eines Weibes?“
„Er soll wie ein Weib und wie die Tochter eines Weibes behandelt werden.“
„Diese beiden Männer tragen Bärte, aber sie sind Weiber. Sorge dafür, Abu Mansur, daß man sie als Weiber erkenne!“
„Soll ich ihnen den Bart nehmen, o Scheik?“
„Ich gebiete es dir!“
„Allah segne dich, du Tapferer und Weiser unter den Kindern der Haddedihn! Du bist freundlich und milde gegen die Deinen und gerecht gegen die Feinde deines Stammes. Ich werde deinem Befehl gehorsam sein.“
Er öffnete sein Kästchen, welches verschiedene Instrumente enthielt, und nahm einen Schambijeh (Krummer Dolch) hervor, dessen blanke Klinge im Scheine des Zeltfeuers funkelte. Er war der Barbier des Stammes.
„Warum nimmst du nicht das Bartmesser?“ fragte ihn der Scheik.
„Soll ich mit dem Messer den Bart dieser Feiglinge wegnehmen und dann mit ihm den Scheitel und die Schuschah (Haarbüschel auf dem Scheitel) der tapferen Haddedihn berühren, o Scheik?“
„Du hast recht; tue, wie du es dir vorgenommen hast!“
Die gebundenen Obeïde wehrten sich nach Möglichkeit gegen die Manipulation, mit welcher die allergrößte Schande für sie verbunden war; ihr Sträuben half ihnen nichts. Sie wurden festgehalten, und der Dolch Abu Mansurs war so scharf, daß die Barthaare vor ihm wie vor der Schneide eines Rasiermessers wichen.
„Nun schafft sie hinaus“, gebot der Scheik. „Sie sind Weiber und sollen von den Weibern bewacht werden. Man gebe ihnen Brot, Datteln und Wasser; versuchen sie aber, zu entkommen, so gebe man ihnen eine Kugel!“
Das Abscheren des Bartes war nicht nur eine Strafe, sondern wohl auch ein gutes Mittel, die Gefangenen an einem Fluchtversuch zu hindern. Sie wagten es jedenfalls nicht, sich bei den Ihrigen ohne Bart sehen zu lassen. Jetzt erhob sich der Scheik und zog sein Messer. Ich sah es seiner feierlichen Miene an, daß nun etwas Ungewöhnliches erfolgen und daß er dabei vielleicht eine Rede halten werde.
„Allah il Allah“, begann er; „es gibt keinen Gott außer Allah. Alles, was da lebt, hat er geschaffen, und wir sind seine Kinder. Warum sollen sich hassen, die sich lieben, und warum sollen sich entzweien, die einander angehören? Es rauschen viele Zweige in dem Wald, und auf der Ebene stehen viele Halme und viele Blumen. Sie sind einander gleich, darum kennen sie sich und trennen sich nicht. Sind wir einander nicht auch gleich? Scheik Malek, du bist ein großer Krieger, und ich habe zu dir gesagt: ‚Nanu malihin – wir haben Salz miteinander gegessen.‘ Hadschi Emir Kara Ben Nemsi, auch du bist ein großer Krieger, und ich habe zu dir gesagt: ‚Nanu malihin.‘ Ihr wohnt in meinem Zelt; ihr seid meine Freunde und meine Gefährten; ihr sterbet für mich, und ich sterbe für euch. Habe ich die Wahrheit gesagt? Habe ich recht gesprochen?“
Wir bejahten durch ein ernstes, feierliches Kopfnicken.
„Aber das Salz löst sich auf und vergeht“, fuhr er fort. „Das Salz ist das Zeichen der Freundschaft; wenn es sich aufgelöst hat und aus dem Körper verschwunden ist, so ist die Freundschaft zu Ende und muß wieder erneuert werden. Ist das gut, ist das genügend? Ich sage nein! Tapfere Männer schließen ihre
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