12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
wird uns geschehen, wenn ich es nicht tue?“
„Die Meinen werden mich suchen und finden. Dann seid ihr verloren!“
„Deine Augen sind blind und deine Ohren sind taub. Du hast weder gehört noch gesehen, was vorging, ehe die Deinigen über den Fluß herüber kamen.“
„Was soll geschehen sein?“ fragte er in verächtlichem Ton.
„Sie werden erwartet, ganz ebenso, wie ich dich erwartet habe.“
„Wo?“
„Im Wadi Deradsch.“
Jetzt erschrak er sichtlich; daher setzte ich hinzu:
„Du siehst, daß euer Plan verraten ist. Du weißt, daß ich bei den Abu Hammed war. Ehe ich dorthin kam, war ich bei den Abu Mohammed. Sie und die Alabeïden, die ihr so oft beraubtet, haben sich mit den Haddedihn verbunden, euch in dem Wadi Deradsch einzuschließen. Horch!“
Es war eben jetzt ein dumpfes Knattern zu hören.
„Hörst du diese Schüsse? Sie sind bereits im Tal eingeschlossen und werden alle niedergemacht, wenn sie sich nicht ergeben.“
„Allah il Allah!“ rief er. „Ist das wahr?“
„Es ist wahr.“
„So töte mich!“
„Du bist ein Feigling!“
„Ist es feig, wenn ich den Tod verlange?“
„Ja. Du bist der Scheik der Obeïde, der Vater deines Stammes; es ist deine Pflicht, ihm in der Not beizustehen; du aber willst ihn verlassen!“
„Bist du verrückt? Wie kann ich ihm beistehen, wenn ich gefangen bin!“
„Mit deinem Rat. Die Haddedihn sind keine Scheusale, die nach Blut lechzen; sie wollen euern Überfall zurückweisen und dann Frieden mit euch schließen. Bei dieser Beratung darf der Scheik der Obeïde nicht fehlen.“
„Noch einmal: sagst du die Wahrheit?“
„Ich sage sie.“
„Beschwöre es!“
„Das Wort eines Mannes ist sein Schwur. Halt, Bursche!“
Dieser Ruf galt dem Griechen. Er hatte bisher ruhig dagestanden, jetzt aber sprang er plötzlich auf einen meiner Leute, welche nach und nach näher getreten waren, um unsere Worte zu verstehen, stieß ihn zur Seite und eilte davon. Einige Schüsse krachten hinter ihm, aber in der Eile war nicht genau gezielt worden; es gelang ihm, den Vorsprung zu erreichen und hinter denselben zu verschwinden.
„Schießt jeden nieder, der sich hier rührt!“
Mit diesen Worten eilte ich dem Flüchtling nach. Als ich den Vorsprung erreichte, war er bereits über hundert Schritt von demselben entfernt.
„Bleib stehen!“ rief ich ihm nach.
Er sah sich rasch um, sprang aber weiter. Es tat mir leid, aber ich war gezwungen, auf ihn zu schießen; doch nahm ich mir vor, ihn nur zu verwunden, wenn es möglich war. Ich zielte scharf und drückte ab. Er lief noch eine kleine Strecke vorwärts und blieb dann stehen. Es war, als ob ihn eine unsichtbare Hand einmal um seine eigene Achse drehte, dann fiel er nieder.
„Holt ihn herbei!“ gebot ich.
Auf dieses Gebot liefen einige Haddedihn zu ihm und trugen ihn herbei. Die Kugel saß in seinem Oberschenkel.
„Du siehst, Eslah el Mahem, daß wir Ernst machen. Befiehl deinen Leuten, sich zu ergeben!“
„Und wenn ich es ihnen nicht befehle?“ fragte er.
„So zwingen wir sie, und dann fließt ihr Blut, was wir gern vermeiden wollen.“
„Willst du mir später bezeugen, daß ich mich nur ergeben habe, weil ihr fünfmal mehr seid als wir, und weil du mir sagst, daß die Meinen in dem Wadi Deradsch eingeschlossen sind?“
„Ich bezeuge es dir!“
„So gebt eure Waffen ab!“ knirschte er. „Aber Allah verderbe dich bis in die tiefste Dschehennah hinunter, wenn du mich belogen hast!“
Die Obeïde wurden entwaffnet.
„Sir!“ rief Lindsay während dieser Beschäftigung.
„Was?“ fragte ich und drehte mich um.
Er hielt den Arm des verwundeten Griechen gefaßt und meldete:
„Frißt Papier, der Kerl!“
Ich trat hinzu. Der Grieche hatte noch einen Papierfetzen in der zusammengeballten Hand.
„Geben Sie her!“ sagte ich.
„Nie!“
„Pah!“
Ein Druck auf seine Hand – er schrie vor Schmerz auf und öffnete die Finger. Das Papier war der Teil eines Briefumschlags und enthielt nur ein einziges Wort: Bagdad. Der Mensch hatte den andern Teil des Kuverts und den eigentlichen Brief entweder schon verschlungen oder noch im Mund.
„Geben Sie heraus, was Sie im Mund haben!“ forderte ich ihn auf.
Ein höhnisches Lächeln war seine Antwort, und zugleich sah ich, wie er den Kopf etwas erhob, um leichter schlingen zu können. Sofort faßte ich ihn bei der Kehle. Unter meinem nicht eben sanften Griff tat er in der Angst des Erstickens den Mund auf. Es gelang mir nun, ein
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