12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Schmerz. Alle Schmerzen, deren das Herz des Menschen fähig ist, habe ich in einer einzigen Stunde durchgekostet. Wie kann es da noch ein Leid für mich geben?“
„Ali Bey sagte, daß du den Miralai Omar Amed kennst.“
Es zuckte keine Falte des Gesichtes, und seine Stimme klang ganz ruhig, als er antwortete:
„Ich kenne ihn, aber er kennt mich noch nicht. Er hat mir mein Weib und meine Söhne getötet. Was ist's mit ihm?“
„Verzeihe; Ali Bey wird es dir selbst sagen!“
„Ich weiß, daß ihr nicht sprechen sollt; aber Ali Bey hat kein Geheimnis vor mir. Er hat mir mitgeteilt, was du ihm von der Absicht der Türken gesagt hast. Glaubst du wirklich, daß sie kommen werden, um unser Fest zu stören?“
„Ich glaube es.“
„Sie sollen uns besser gerüstet finden als damals, wo meine Seele verloren ging. Hast du ein Weib und hast du Kinder?“
„Nein.“
„So kannst du auch nicht ermessen, daß ich lebe und doch längst gestorben bin. Aber du sollst es erfahren. Kennst du Tel Afer?“
„Ja.“
„Du warst dort?“
„Nein, aber ich habe von ihm gelesen.“
„Wo?“
„In den Beschreibungen dieses Landes und auch in – du bist ein Pir, ein berühmter Heiliger der Dschesidi, du kennst also auch das heilige Buch der Christen?“
„Ich besitze den Teil, welcher Eski-Saryk (Altes Testament) genannt wird, in türkischer Sprache.“
„Nun, so hast du auch gelesen das Buch des Propheten Jesaias?“
„Ich kenne es. Dschesajai ist der erste der sechzehn Propheten.“
„So schlage nach in diesem Buch das siebenunddreißigste Kapitel. Dort lautet der zwölfte Vers: ‚Haben auch die Götter der Heiden alle die gerettet, so von meinen Vätern vernichtet wurden, Gozam und Haram, und Reseph, und die Söhne Edens zu Thalassar?‘ Dieses Thalassar ist Tel Afer.“
Er blickte mich erstaunt an.
„So kennt ihr aus eurem heiligen Buch die Städte unseres Landes, welche bereits vor Jahrtausenden bestanden?“
„So ist es.“
„Euer Kitab ist größer als der Koran. Aber höre! Ich wohnte in Mirkan, am Fuß des Dschebel Sindschar, als die Türken über uns hereinbrachen. Ich flüchtete mit meinem Weib und zwei Söhnen nach Tel Afer, denn es ist eine feste Stadt, und ich hatte dort einen Freund, welcher mich bei sich aufnahm und verbarg. Aber auch hier drangen die Wütenden ein, um alle Dschesidi, welche hier Schutz gesucht hatten, zu töten. Mein Versteck wurde entdeckt und mein Freund für seine Barmherzigkeit erschossen. Ich ward gebunden und mit Weib und Kindern vor die Stadt gebracht. Dort loderten die Feuer, in denen wir den Tod finden sollten, und dort floß das Blut der Gemarterten. Ein Mülasim (Leutnant) stach mir, um mir Schmerzen zu bereiten, sein Messer durch die Wangen. Hier siehst du die Narben noch. Meine Söhne waren mutige Jünglinge; sie sahen meine Qual und vergriffen sich an ihm. Dafür wurden auch sie gefesselt, und ebenso geschah es ihrer Mutter. Man schlug beiden die rechte Hand ab und schleppte sie dann zum Feuer. Auch mein Weib wurde verbrannt, und ich mußte es sehen. Dann zog der Mülasim das Messer aus meinen Antlitz und stach es mir langsam, sehr langsam in die Brust. Als ich erwachte, war es Nacht, und ich lag unter Leichen. Die Klinge hatte das Herz nicht getroffen, aber ich lag in meinem Blut. Ein Chaldäer fand mich am Morgen und verbarg mich in den Ruinen von Kara-tapeh. Es vergingen viele Wochen, ehe ich mich erheben konnte, und mein Haar war in der Todesstunde der Meinen weiß geworden. Mein Leib lebte wieder, aber meine Seele war tot. Mein Herz ist verschwunden; an seiner Stelle klopft und schlägt ein Name, der Name Omar Amed, denn so hieß jener Mülasim. Er ist jetzt Miralai.“
Er erzählte das in einem einförmigen, gleichgültigen Ton, der mich mehr ergriff, als der glühendste Ausdruck eines unversöhnlichen Rachegefühls. Die Erzählung klang so monoton, so automatisch, als würde sie von einem Narkotisierten oder von einem Nachtwandler vorgetragen. Es war schrecklich anzuhören.
„Du willst dich rächen?“ fragte ich.
„Rächen? Was ist Rache?“ antwortete er in demselben Ton. „Sie ist eine böse, heimtückische Tat. Ich werde ihn bestrafen, und dann wird mein Leib dorthin gehen, wohin ihm meine Seele vorangegangen ist. – Ihr werdet während unseres Festes bei uns verweilen?“
„Wir wissen es noch nicht.“
„Bleibt hier! Wenn ihr geht, wird euch euer Vorhaben nicht glücken; bleibt ihr aber, so dürft ihr alle Hoffnung haben, daß es
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