12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
innig, wie man es bei einem Sohn tun würde.
„Aaleïk salam u rahhmet Allah. Ser sere men at – der Friede und die Barmherzigkeit Gottes sei mit dir! Ihr seid mir willkommen!“ grüßte er.
„Chode scogholeta rast init – Gott stehe dir bei in deinem Amt!“ antwortete ich. „Aber willst du nicht türkisch mit mir sprechen? Ich verstehe die Sprache eures Landes noch nicht!“
„Befiehl über mich nach deinem Gefallen, und sei mein Gast in dem Hause dessen, an dessen Grab wir die Allmacht und die Gnade verehren.“
Wir waren natürlich bei seinem Nahen abgestiegen. Auf einen Wink von ihm wurden unsere Pferde in Empfang genommen, und wir, nämlich Ali Bey, Mohammed Emin und ich, schritten an seiner Seite dem Grabmal zu. Wir gelangten zunächst in einen von einer Mauer umgebenen Hof, welcher bereits ganz von Menschen erfüllt war; dann gelangten wir an den Eingang des inneren Hofes, welcher von den Dschesidi nie anders als barfuß betreten wird. Ich folgte diesem Beispiel, zog meine Schuhe aus und ließ sie am Eingang zurück.
In dem innern Hof standen viele Bäume, deren Schatten den Pilgern Kühlung und Labung bringt; dichter Oleander trieb Blüte an Blüte, und ein ungeheurer Weinstock bildete eine Laube, nach welcher uns der Mir Scheik Khan führte und in der wir Platz nahmen. Einige Scheiks und Kawals ruhten unter den Bäumen, sonst waren wir allein.
In diesem Hof erhebt sich das eigentliche Gebäude des Grabmales, welches von zwei weißen Türmen überragt wird, die mit dem tiefen Grün des Tales lebhaft und wohltuend kontrastieren. Ihre Spitzen sind vergoldet und ihre Seiten in viele Winkel gebrochen, zwischen denen sich Licht und Schatten jagen. Über dem Torweg waren einige Figuren ausgehauen, in denen ich einen Löwen, eine Schlange, ein Beil, einen Mann und einen Kamm erkannte. Das Innere des Gebäudes ist, wie ich nachher sah, in drei Hauptabteilungen geschieden, von denen die eine größer ist als die beiden andern. Diese Halle wird von Säulen und Bogen getragen und hat einen Brunnen, dessen Wasser für sehr heilig gehalten wird. Mit demselben werden die Kinder getauft. In der einen der zwei kleineren Abteilungen befindet sich das eigentliche Grab des Heiligen. Über der Gruft erhebt sich ein großes kubisches Gehäuse, welches aus Ton gebildet und mit Gips überzogen ist. Als einziger Schmuck ist ein grünes, gesticktes Tuch darüber gebreitet, und eine ewige Lampe brennt in dem Gemach.
Der Ton des Grabmales bedarf von Zeit zu Zeit einer Ergänzung, da die Hüter des Heiligtums kleine Kugeln daraus bereiten, welche von den Pilgern gern gekauft und als Andenken mitgenommen, vielleicht auch als Amulette getragen werden. Diese Kugeln befinden sich in einem Gefäß, welches an dem erwähnten Weinstock angebracht ist, und haben verschiedene Größen: von der Größe einer Erbse bis zu der jener kleinen Marmor- oder Glaskugeln, mit denen bei uns die Kinder zu spielen pflegen.
In dem zweiten kleinen Gemach befindet sich auch ein Grab, über dessen Inhalt die Dschesidi aber selbst nicht klar zu sein scheinen.
In der Umfassungsmauer, welche das Heiligtum umgibt, sind zahlreiche Nischen angebracht, welche die Lichter aufzunehmen haben, mit denen bei größeren Festen illuminiert wird. Das Grabmal wird von Gebäuden umgeben, welche den Priestern und Dienern des Grabes zur Wohnung dienen. Der ganze Ort aber liegt in einer engen Talschlucht, deren Felsen von allen Seiten sehr steil in die Höhe steigen. Er besteht nur aus wenigen profanen Wohnungen und enthält außer dem Heiligtum vorzugsweise solche Gebäude, welche die Pilger aufzunehmen haben. Jeder Stamm oder auch jede größere Abteilung desselben hat dann ein solches Haus ausschließlich für sich in Besitz.
Draußen vor den Mauern hatte sich ein förmlicher Jahrmarkt entfaltet. Alle möglichen Arten von Geweben und Zeugen hingen zum Verkauf von den Ästen der Bäume nieder; alle möglichen Früchte und Eßwaren wurden feilgeboten; Waffen, Schmuckgegenstände und allerlei orientalisches Allerhand war zu bekommen. Wäre die Tracht nicht gewesen, so hätte ich mich in die Heimat versetzt dünken können, so heiter und unbefangen, so harmlos und gutmütig war das bunte Treiben in dem Dorf des Heiligen. Wahrhaftig, diese Teufelsanbeter erwarben sich immer mehr meine Sympathie, und ich stimme dem vollständig bei, was ein sehr verständiger Engländer, welcher einige Wochen in Kofau gewesen war, mir später in Konstantinopel von ihnen
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