12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
den Weg nach Scheik Adi überblicken konnte.“
„Wer ist er?“
„Er behauptet, Lassa zu heißen und ein Dassini zu sein.“
„Dann müßte ich ihn kennen; auch gibt es keinen Dassini dieses Namens.“
„Er stach nach mir, als ich ihn zwang, mit mir zu gehen. Hier ist er. Tue mit ihm, was du willst!“
Ich verließ den Raum. Draußen stand der Buluk Emini noch.
„Kennst du den Mann, den ich jetzt brachte?“
„Ja. Was hat er getan, Emir? Gewiß hast du ihn verkannt! Er ist kein Dieb und kein Räuber.“
„Was sonst?“
„Er ist Kol Agassi (Überzähliger Stabsoffizier zu Fuß) bei meinem Regiment.“
„Ah! Wie heißt er?“
„Nasir. Wir nannten ihn Nasir Agassi. Er ist der Freund des Miralai Omar Amed.“
„Gut; sage Halef, daß er satteln möge!“
Ich kehrte in das Selamlük zurück, wo vor Mohammed Emin und einigen der zufällig anwesenden bedeutenderen Dorfbewohner das Verhör bereits begonnen hatte.
„Seit wann lagst du im Busch?“ fragte der Bey.
„Seit dieser Mann hier badete.“
„Dieser Mann ist ein Emir; merke dir das! Du bist kein Dassini und auch kein Dschesidi. Wie heißt du?“
„Das sage ich nicht!“
„Warum nicht?“
„Ich habe eine Blutrache da droben in den kurdischen Bergen; ich muß verschweigen, wer ich bin und wie ich heiße.“
„Seit wann hat ein Kol Agassi mit der Blutrache der freien Kurden zu tun?“ fragte ich ihn.
Er wurde noch bleicher als vorhin am Bach.
„Kol Agassi? Was meinst du?“ fragte der dennoch beherzt.
„Ich meine, daß ich Nasir Agassi, den Vertrauten vom Miralai Omar Amed, so genau kenne, daß ich mich nicht täuschen lasse.“
„Du – du – du kennst mich? Wallahi, so bin ich verloren; das ist mein Verhängnis!“
„Nein; es ist dein Kismet nicht. Gestehe aufrichtig, was du hier tatest, so wird dir vielleicht nichts geschehen!“
„Ich habe nichts zu sagen.“
„Dann bist du verl – – –“
Ich unterbrach den zornigen Bey mit einer schnellen Handbewegung und wandte mich wieder zu dem Gefangenen.
„Ist das von der Blutrache die Wahrheit?“
„Ja, Emir!“
„So sei ein anderes Mal vorsichtiger. Wenn du mir versprichst, unverweilt nach Mossul zurückzukehren und die Rache für jetzt aufzuschieben, so bist du frei.“
„Effendi!“ rief da der Bey erschrocken. „Bedenke doch, daß wir ja –“
„Ich weiß, was du sagen willst“, unterbrach ich ihn abermals. „Dieser Mann ist ein Stabsoffizier des Mutessarif, ein Kol Agassi, aus dem einst vielleicht ein General werden kann, und du lebst mit dem Mutessarif in Freundschaft und in tiefstem Frieden. Es tut mir jetzt leid, diesen Offizier belästigt zu haben, was gar nicht geschehen wäre, wenn ich ihn sofort gekannt hätte. – Du versprichst mir also, unverweilt nach Mossul zurückzukehren?“
„Ich verspreche es!“
„Betrifft diese Rache einen Dschesidi?“
„Nein.“
„So gehe, und Allah behüte dich, daß die Rache nicht gefährlich für dich selbst wird!“
Er stand ganz erstaunt. Noch vor einem Augenblick hatte er den gewissen Tod vor sich gesehen, und jetzt sah er sich frei. Er faßte meine Hand und rief:
„Emir, ich danke dir! Allah segne dich und alle die Deinen!“
Dann war er in größter Eile zur Tür hinaus. Er mochte befürchten, daß wir unsere Großmut noch bereuen könnten.
„Was hast du getan!“ sagte Ali Bey mehr erzürnt als erstaunt.
„Das Beste, was ich tun konnte“, antwortete ich.
„Das Beste? Dieser Mensch ist ein Spion!“
„Das ist richtig.“
„Und hatte den Tod verdient!“
„Das ist richtig.“
„Und du schenkest ihm die Freiheit! Zwangst ihn nicht zum Geständnis!“
Auch die anderen Dschesidi schauten finster drein. Ich ließ mich dies nicht anfechten und antwortete:
„Was hättest du durch sein Geständnis erfahren?“
„Vielleicht viel!“
„Nicht mehr, als wir bereits wissen. Und übrigens schien er der Mann zu sein, der lieber stirbt als gesteht.“
„So hätten wir ihn getötet!“
„Und was wäre die Folge davon gewesen?“
„Daß es einen Spion weniger gegeben hätte!“
„O, die Folgen wären noch ganz anders gewesen. Der Kol Agassi war jedenfalls abgeschickt, sich zu überzeugen, ob wir eine Ahnung von dem beabsichtigten Überfall haben. Töteten wir ihn, oder hielten wir ihn gefangen, so kehrte er nicht zurück, und man hätte gewußt, daß wir bereits gewarnt sind. Nun aber hat er seine Freiheit wieder erhalten, und der Miralai Omar Amed wird als ganz sicher
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