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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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annehmen, daß wir nicht das geringste von dem Anschlag des Mutessarif ahnen. Es würde doch die allergrößte Dummheit sein, einen Spion zu entlassen, wenn man überzeugt ist, daß man überfallen werden soll – so werden sie sich sagen. Habe ich recht?“
    Der Bey umarmte mich.
    „Verzeih, Emir! Meine Gedanken reichen nicht so weit wie die deinigen. Aber ich werde ihm einen Späher nachsenden, um mich zu überzeugen, daß er auch wirklich fortgeht.“
    „Auch dies wirst du nicht tun.“
    „Warum nicht?“
    „Er könnte grad dadurch auf das aufmerksam werden, was wir ihm durch seine Freilassung verborgen haben. Er wird sich hüten, hier zu bleiben, und übrigens kommen jetzt genug Leute an, bei denen du dich erkundigen kannst, ob sie ihm begegnet sind.“
    Auch hier drang ich durch. Es war mir eine angenehme Genugtuung, zwei Vorteile verbunden zu haben: – ich hatte einem Menschen, der doch nur auf Befehl gehandelt hatte, das Leben erhalten und zu gleicher Zeit den Plan des Mutessarif vereitelt. Mit diesem Gefühl ging ich in das Frauengemach, welches hier eigentlich Küche genannt werden mußte, um das Frühstück einzunehmen. Vorher aber holte ich aus meiner kleinen Raritätensammlung, die ich von Isla Ben Maflei erhalten hatte, ein Armband, an welchem ein Medaillon angebracht war.
    Der kleine Bey war auch bereits munter. Während ihn seine Mutter hielt, versuchte ich seine niedliche Physiognomie zu Papier zu bringen. Es gelang ganz leidlich, denn Kinder sind einander ähnlich. Dann legte ich das Papier in das Medaillon und gab der Mutter das Armband.
    „Trage dies als Andenken an den Emir der Nemtsche“, bat ich sie; „das Gesicht deines Sohnes befindet sich darin; es wird ewig jung bleiben, auch wenn er alt geworden ist.“
    Sie sah das Bild an und war ganz entzückt. In fünf Minuten hatte sie es sämtlichen Bewohnern des Hauses und allen Anwesenden gezeigt, und ich konnte mich vor Dankbarkeitsbezeigungen kaum retten. Dann aber brachen wir auf, allerdings nicht mit dem Gefühl, daß es zu einer Lustbarkeit gehe, sondern in sehr ernster Stimmung.
    Ali Bey hatte seine kostbarste Kleidung angelegt. Er ritt mit mir voraus, und dann folgten die angesehensten Leute des Dorfes. Mohammed Emin befand sich natürlich an unserer Seite. Er war mißmutig, da unser Ritt nach Amadijah eine solche Unterbrechung erlitten hatte. Vor uns her zog eine Schar von Musikanten mit Flöten und Tamburins. Hinterher kamen die Frauen, meist mit Eseln, die mit Teppichen, Kissen und allerlei Gerätschaften beladen waren.
    „Hast du deine Vorbereitungen für Baadri getroffen?“ fragte ich den Bey.
    „Ja. Bis Dscherajah stehen Posten, welche mir das Nahen des Feindes sofort melden.“
    „Baadri wirst du den Türken ohne Verteidigung lassen?“
    „Natürlich. Sie werden still hindurchziehen, um uns nicht vor der Zeit aufmerksam zu machen.“
    Von jetzt an ging es sehr laut um uns zu. Wir wurden von Reitern umschwärmt, welche Scheingefechte aufführten, und von allen Seiten knallten unaufhörlich Salven. Jetzt wurde der Weg sehr schmal und wand sich stellenweise so steil an den Bergen empor, daß wir absteigen und, einer hinter dem andern, unsere Pferde über die Felsen führen mußten. Erst nach einer starken Stunde erreichten wir den Gipfel des Passes und konnten nun in das grüne bewaldete Tal von Scheik Adi hinabblicken.
    Ein jeder schoß, sobald er die weiße Turmspitze des Grabmales erblickte, sein Gewehr ab, und von unten herauf antworteten ununterbrochen Schüsse, so daß ein großes Infanteriegefecht stattzufinden schien, dessen Echo in den Bergen widerhallte. Hinter uns kamen immer neue Züge, und als wir den Abhang hinabritten, sahen wir rechts und links zur Seite zahlreiche Pilger unter den Bäumen liegen. Sie ruhten sich hier von den Strapazen des Steigens aus und genossen dabei den Anblick des Heiligtums und der herrlichen Gebirgsnatur, der für die Bewohner der Ebene eine wahre Erquickung sein mußte.
    Wir hatten das Grabmal noch nicht erreicht, so kam uns Mir Scheik Khan, das geistliche Oberhaupt der Dschesidi, an der Spitze mehrerer Scheiks entgegen. Er wird Emir Hadschi genannt und stammt von der Familie der Ommijaden ab. Seine Familie wird als die Hauptfamilie der Dschesidi betrachtet und Posmir oder Begzahdehs genannt. Er selbst war ein kräftiger Greis von mildem, ehrwürdigem Aussehen und schien nicht den mindesten hierarchischen Stolz zu besitzen; denn er verbeugte sich vor mir und umarmte mich dann so

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