12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Zeit von zwei Minuten hatte ich noch vier Stäbe herausgerissen, so daß eine Öffnung entstanden war, durch welche ich mich zwängen konnte.
Sollte ich zurückkehren, um Isla das weitere zu überlassen? Nein, denn das wäre Zeitverschwendung gewesen. Ich befand mich nun einmal im Wasser und kannte ja auch die Örtlichkeit genauer als er. Ich passierte also die Öffnung, welche ich mir gemacht hatte, und schwamm weiter fort in dem Wasser, welches durch den aufgewühlten Schlamm ganz dick war. Als ich mich nach meiner ungefähren Berechnung unter dem inneren Hof befinden mußte, senkte sich plötzlich die Wölbung bis auf die Oberfläche des Wassers herunter, und ich wußte nun, daß ich mich in der Nähe des Bassins befand. Der Kanal glich von hier aus nur noch einer Röhre, welche so vollständig mit Wasser gefüllt war, daß die zum Atmen nötige Luft fehlte. Die noch übrige Strecke mußte ich also unter Wasser durchkriechen oder tauchend durchschwimmen, was nicht nur höchst unbequem und anstrengend, sondern auch mit größter Gefahr verbunden war. Wie nun, wenn sich ein zweites, unvorhergesehenes Hindernis in den Weg stellte und ich auch nicht so weit zurückkehren konnte, um den nötigen Atem zu holen? – Oder wenn ich beim Emportauchen bemerkt wurde? Es war doch immerhin möglich, daß sich jemand in dem Hof befand.
Diese Bedenken durften mich nicht irre machen. Ich sog die Lunge voll Atem, bog mich unter das Wasser und schob mich, halb schwimmend und halb gehend, mit möglichster Schnelligkeit vorwärts.
Eine ziemliche Strecke legte ich so zurück, und schon verspürte ich den eintretenden Luftmangel, als ich mit der Hand wirklich an ein neues Hindernis stieß. Es war, wie ich fühlte, ein aus einem durchlöcherten Blech bestehendes Siebgitter, welches die ganze Lichte der Kanalröhre einnahm und jedenfalls, sozusagen, als Seiher oder Filter des schlammigen, trüben Wassers dienen sollte.
Bei dieser Entdeckung bemächtigte sich eine wirkliche Ängstlichkeit meiner.
Zurück konnte ich nicht mehr, denn ehe ich die Stelle zu erreichen vermochte, wo die höhere Wölbung des Kanals mir gestattet hätte, emporzutauchen und Atem zu schöpfen, wär ich jedenfalls schon erstickt, und doch schien das ziemlich starke Siebwerk sehr haltbar befestigt zu sein. Hier gab es freilich nur zwei Fälle: entweder es gelang mir, hindurchzukommen, oder ich mußte elend ertrinken. Es war kein Augenblick zu verlieren.
Ich stemmte mich gegen das Blech – vergebens; ich drückte und preßte mit aller Gewalt dagegen, doch ohne Erfolg. Und wenn ich hindurch kam und hinter ihm nicht sofort das Bassin sich befand, so war ich dennoch verloren. Ich hatte nur noch Luft und Kraft für eine Sekunde; es war mir, als wolle eine fürchterliche Gewalt mir die Lunge zerbersten und den Körper zersprengen – noch eine letzte, die allerletzte Anstrengung; Herr Gott im Himmel, hilf, daß es mir gelingt! Ich fühle den Tod mit nasser, eisiger Hand nach meinem Herzen greifen; er packt es mit grausamer, unerbittlicher Faust und drückt es vernichtend zusammen; die Pulse stocken, die Besinnung schwindet, die Seele sträubt sich mit aller Gewalt gegen das Entsetzliche, eine krampfhafte, tödliche Expansion dehnt die erstarrenden Sehnen und Muskeln aus – ich höre einen Krach, kein Geräusch, aber der Kampf des Todes hat vermocht, was dem Leben nicht gelingen wollte – das Sieb weicht, es geht aus den Fugen, ich fuhr empor. Ein langer, langer, tiefer Atemzug, der mir augenblicklich das Leben wiederbrachte, dann tauchte ich wieder unter. Es konnte ja jemand im Hof sein und meinen Kopf bemerken, der grad in der Mitte der kleinen Wasserfläche sichtbar geworden war. Am Rande derselben kam ich vorsichtig wieder auf und blickte mich um.
Es schien kein Mond, aber die Sterne des Südens verbreiteten ein genügendes Licht, um alle Gegenstände unterscheiden zu können. Ich stieg aus dem Bassin und wollte mich leise an die Mauer schleichen, als ich ein leises Knacken vernahm. Ich blickte empor zu den Gittern, hinter denen die Frauengemächer lagen. Hier, rechts über mir war die Stelle, an welcher ich den Riegelstab entfernt hatte, und links davon bemerkte ich eine Spalte in der Vergitterung desjenigen Zimmers, in welches ich nicht hatte treten dürfen. Es war jedenfalls das Schlafzimmer Senitzas. War sie wach geblieben, um mich zu erwarten? Kam das Knacken von dem Gitter, welches sie auch in ihrer Stube geöffnet hatte? War dies der Fall, so hatte
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