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12 Tante Dimity und der Wilde Westen (Aunt Dimity Goes West)

12 Tante Dimity und der Wilde Westen (Aunt Dimity Goes West)

Titel: 12 Tante Dimity und der Wilde Westen (Aunt Dimity Goes West) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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dessen Obelisken wir auf dem Friedhof gesehen haben.« Sie zog ein einzelnes Foto aus der Schachtel und legte die anderen wieder zurück.
    Ich spürte eine tiefe Zuneigung, vermischt mit Trauer, als ich Cyrils schmale Brust und Schultern sah, sein welliges blondes Haar und den Kneifer auf dem Rücken seiner recht eindrucksvollen Nase. Er trug einen strapazierfähigen Tweedanzug und hielt mit seinen langen Fingern ein Buch in einer Hand, als habe er nur kurz von seiner Lektüre aufgeschaut, um sich fotografieren zu lassen. Er stand leicht versetzt zur Kamera, vor einem Hintergrund, der unter anderem eine klassische Büste auf einer kurzen dorischen Säule zeigte. Wenn ich nicht bereits gewusst hätte, dass er Lehrer war, hätte ich es sicherlich erraten.
    »Was für intelligente Augen«, murmelte ich.
    »Er war, nach allem, was man hört, ein hochintelligenter Mann«, sagte Rose. »Er sprach Französisch, Deutsch, Latein und Griechisch, und er kannte fast alle Werke Shakespeares auswendig.«
    »Macbeth«, murmelte ich, als ich das Foto zurücklegte. »Zweiter Aufzug, zweite Szene.«
    Toby betrachtete noch immer das Gruppenfoto. Als er es Rose reichte, fragte er: »Welcher von den Männern hat überlebt?«
    Meine Nackenhärchen richteten sich auf, als Rose ohne Umschweife auf den bärtigen Mann mit den wilden Augen in der hintersten Reihe deutete.
    »Er brachte den Arbeitern unter Tage Wasser«, sagte sie. »Er füllte gerade seine Kanne auf, als die Mine einstürzte, und kam unverletzt davon. Sein Name lautete Ludovic Magerowski.«
    »Ich wusste es!«, rief ich und dachte an Cyril Pennyfeathers Worte. »Ich wusste, dass er verrückt war.«
    »Woher wussten Sie das?«, fragte Rose mit leichtem Erstaunen.
    Ich stutzte und sagte rasch: »Seine Augen, er hat die Augen eines Verrückten.«
    »Sie neigen wirklich dazu, Männer nach ihren Augen zu beurteilen«, kommentierte Rose amüsiert. Sie wandte sich wieder dem Foto zu. »Aber bei Cyril Pennyfeather lagen Sie richtig, und bei Ludovic auch. Er war geistesgestört. Deshalb durfte er auch nicht mehr mit Werkzeug, geschweige denn mit Sprengstoff arbeiten. Er durfte den Männern nur das Wasser bringen.«
    Rose beschrieb das Leben Ludovic Magerowskis. Ihr Bericht deckte sich mit dem, was Cyril Pennyfeather in Tante Dimitys blaues Tagebuch geschrieben hatte, aber Rose hatte einen gewaltigen Vorteil gegenüber Cyril – sie wusste, was nach dem Unglück geschehen war.
    »Die Gerüchte schwirrten umher«, sagte sie. »Eines lautete, dass Ludo die Mine zum Einsturz gebracht habe, um sich an Emerson Auerbach zu rächen, der ihn um ein Vermögen gebracht hatte.« Sie suchte in der Schachtel, bis sie einen brüchigen Zeitungsausschnitt fand, der zum Schutz in einer Plastikfolie steckte. »Wie ihr seht, hat sich Ludo auch selbst das Leben schwergemacht. Er gab dem Bluebird Herald ein Interview, in dem er behauptete, über besondere Kräfte zu verfügen.«
    »Wie Amanda Barrow?«, folgerte Toby.
    »In der Tat«, bestätigte Rose. »Ludo behauptete, dass er die Mine tatsächlich zerstört hatte, aber allein durch die Kraft seines Geistes. Mit anderen Worten, er hatte die Mine durch Willenskraft zum Einsturz gebracht.«
    »Das ist in Bluebird sicher gut angekommen«, meinte ich ironisch.
    »Immerhin, wegen ungesetzlichem Gebrauch von Willenskraft konnten sie ihn nicht verhaften«, meinte Toby. »Was ist mit ihm geschehen, Mrs Blanding? Haben die Einwohner das Gesetz in die eigenen Hände genommen?«
    »Wenn sie ihn in die Finger bekommen hätten, wahrscheinlich schon«, antwortete Rose. »Zum Glück – oder leider, je nach Standpunkt – sorgte der Chefredakteur des Bluebird Herald dafür, dass man Ludo in eine Nervenheilanstalt nahe Denver brachte, bevor das Interview erschien. Ich nehme an, dass er sich die Hände nicht mit Ludos Blut beschmutzen wollte.«
    »Was ist aus Ludos Frau geworden?«
    »Sie hatte Verwandte in Ohio, zog es jedoch vor, in Bluebird zu bleiben. Vielleicht fiel es ihr leichter, dort zu bleiben, wo bereits jeder ihre Geschichte kannte, als ihrer Familie die schreckliche Wahrheit über ihren Ehemann zu beichten. In jenen Tagen war eine Geisteskrankheit noch immer mit einem Stigma behaftet.« Rose seufzte und legte den Zeitungsausschnitt und das Gruppenfoto wieder in die Schachtel. »Genau ein Jahr nach dem Grubenunglück fand man ihre Leiche im Bluebird Creek. Der Gerichtsmediziner entschied auf Tod durch Unfall, aber ich vermute, dass er das nur aus Mitgefühl

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