12 - Wer die Wahrheit sucht
sagte, er wolle sie heiraten.«
»Sie glaubten ihm nicht?«
»Mein Bruder hat zu oft behauptet, er hätte die Richtige gefunden, Mr. St. James. ›Sie ist die Richtige‹, sagte er jedes Mal. ›Diese Frau, Ruth, das ist endlich die Richtige‹. In dem Moment, in dem er es sagte, hat er es wirklich geglaubt - weil er wie viele den Reiz sexueller Spannung mit Liebe verwechselte. Er ist nie darüber hinausgewachsen. Und wenn das Gefühl verging - wie das bei solchen Gefühlen ist -, war er immer überzeugt, es wäre der Tod der Liebe, und nicht eine Chance, endlich anzufangen zu lieben.«
»Haben Sie mit dem Vater des Mädchens gesprochen?«, wollte St.
James wissen.
Ruth ging vom Schreibtisch zu dem Modell des Kriegsmuseums auf dem Tisch in der Mitte des Raumes und fegte nicht vorhandenen Staub von seinem Dach. »Er ließ mir keine Wahl. Er war nicht bereit, die Sache zu beenden, obwohl es ein Unrecht war.«
»Warum?«
»Sie ist ein junges Mädchen, fast noch ein Kind. Sie hatte keinerlei Erfahrung. Ich war bereit, die Augen zu verschließen, wenn er sich mit älteren Frauen vergnügte, eben weil sie älter waren. Sie wussten, was sie taten, ganz gleich, was sie von ihm erwarteten. Aber Cynthia! Das war zu viel. Er hat es einfach zu weit getrieben. Und er ließ mir keine Wahl, als zu Henry zu gehen. Das war die einzige Möglichkeit, um sie beide zu retten. Sie vor Schmerz und Kummer, und ihn vor harter Kritik.«
»Aber es hat nicht geklappt, nicht wahr?«
Sie wandte sich von dem Museumsmodell ab. »Henry hat meinen Bruder nicht getötet. Er hat ihn nicht angerührt. Er hätte die Gelegenheit gehabt, es zu tun, aber er brachte es nicht fertig. Glauben Sie mir, so ein Mensch ist er nicht.«
St. James verstand, wie nötig Ruth Brouard es hatte, daran zu glauben. Hätte sie ihren Gedanken erlaubt, in eine andere Richtung zu schweifen, so wäre die Last der Verantwortung unerträglich geworden. Und sie hatte schon schwer genug zu tragen.
Er sagte: »Sie sind sich dessen, was Sie am Morgen des Todestags Ihres Bruders von Ihrem Fenster aus gesehen haben, immer noch sicher, Miss Brouard?«
»Ich habe sie gesehen«, antwortete sie. »Wie sie ihm gefolgt ist. Ich habe sie gesehen.«
»Sie haben jemanden gesehen«, korrigierte Deborah behutsam. »Jemanden in Schwarz. Aus der Ferne.«
»Sie war nicht im Haus. Sie ist ihm gefolgt. Ich weiß es.«
»Jetzt ist ihr Bruder verhaftet worden«, sagte St. James. »Die Polizei scheint zu glauben, dass sie vorher einen Fehler gemacht hat. Könnte es sein, dass Sie nicht China River, sondern ihren Bruder gesehen haben? Er hatte Zugang zu ihrem Cape. Wenn jemand, der vorher sie darin gesehen hatte, nun ihn darin gesehen hätte... Es wäre logisch, dass Sie glaubten, China River vor sich zu haben.«
St. James' vermied es, Deborah anzublicken, während er sprach. Er wusste, wie sie auf die Andeutung, dass eines der beiden Geschwister in die Sache verwickelt sein könnte, reagieren würde. Aber es gab Fragen, die geklärt werden mussten, ohne Rücksicht auf Deborahs Gefühle.
»Haben Sie im Haus auch nach Cherokee River gesucht?«, fragte er Ruth Brouard. »Haben Sie auch in sein Schlafzimmer geschaut wie angeblich in ihres?«
»Ich habe in ihrem Zimmer nachgesehen«, beteuerte Ruth Brouard.
»Und in Adrians Zimmer? Haben Sie dort nachgesehen? Oder im Zimmer Ihres Bruders? Haben Sie dort nach China gesucht?«
»Adrian hat nicht... Guy und diese Frau haben nie... Guy hat nicht...« Ruth sprach nicht weiter.
Das genügte St. James als Antwort.
Als sich die Wohnzimmertür hinter den Londonern schloss, kam Margaret sofort zur Sache. Adrian war aufgestanden, um ebenfalls das Zimmer zu verlassen, aber sie war vor ihm an der Tür und versperrte ihm den Weg.
»Setz dich wieder hin, Adrian«, befahl sie. »Wir haben einiges zu besprechen.« Sie hörte ihren drohenden Ton und wünschte, sie wäre ruhiger, aber sie war es so verdammt müde, aus ihren definitiv begrenzten Reserven mütterlichen Verständnisses zu schöpfen, und man musste jetzt wirklich einmal den nackten Tatsachen ins Gesicht sehen. Adrian war vom Tag seiner Geburt an ein schwieriges Kind gewesen, und aus schwierigen Kindern wurden häufig schwierige Jugendliche und aus denen wiederum schwierige Erwachsene.
Lange hatte sie ihren Sohn als Opfer der Verhältnisse betrachtet und mit diesen Verhältnissen jede seiner Eigenarten zu erklären versucht. Unsicherheit, verursacht durch Männer in seinem Leben, die ihn nicht
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