12 - Wer die Wahrheit sucht
den Unterschied ihrer Positionen. Er verfügte über Informationen. Sie nicht. Und er brachte diese Informationen eindeutig mit Cherokee in Zusammenhang.
Deborah spürte, wie sie unter seinem liebevollen Blick erstarrte. »Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie ziemlich förmlich.
Er akzeptierte die Veränderung in ihrem Ton und ihrer Stimmung ohne Protest. »Kevin Duffy, denke ich.«
Sie war erleichtert über diesen Richtungswechsel. »Du glaubst also doch, dass es noch andere gibt.«
»Ich glaube, man sollte sich mal mit ihm unterhalten.« Er hielt das Gemälde in der Hand und sah es an. »Könntest du inzwischen versuchen, Paul Fielder aufzustöbern, Deborah? Ich nehme an, er wird irgendwo hier in der Nähe sein.«
»Paul Fielder? Warum?«
»Ich möchte gern wissen, woher er das Bild hat. Hat Guy Brouard es ihm zur Aufbewahrung gegeben, oder hat er es irgendwo liegen sehen und an sich genommen und Ruth Brouard erst gegeben, als er damit erwischt wurde?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es gestohlen hat. Was soll er damit gewollt haben? Ich meine, wenn Teenager stehlen, dann doch ganz andere Dinge.«
»Das ist richtig. Andererseits scheint er kein gewöhnlicher Teenager zu sein. Und wenn ich richtig verstanden habe, hat die Familie zu kämpfen. Vielleicht dachte er, er könnte das Bild an eines der Antiquitätengeschäfte in der Stadt verhökern. Man sollte da auf jeden Fall mal auf den Busch klopfen.«
»Glaubst du denn, er sagt es mir, wenn ich ihn frage?«, sagte Deborah zweifelnd. »Ich kann ihn doch nicht einfach beschuldigen, das Bild genommen zu haben.«
»So wie ich dich kenne, kannst du jeden dazu bringen, sich dir anzuvertrauen«, erwiderte ihr Mann. »Auch Paul Fielder.«
Sie trennten sich. Simon schlug den Weg zum Verwalterhaus ein, Deborah blieb beim Wagen und überlegte, wo sie nach Paul Fielder suchen sollte. Nach allem, was der Junge an diesem Tag schon mitgemacht hatte, hatte er vermutlich Sehnsucht nach ein bisschen Ruhe. Wahrscheinlich saß er in einem der Gärten, und sie würde sie eben nacheinander absuchen müssen.
Sie begann mit dem tropischen Garten, der dem Haus am nächsten war. Ein paar Enten schwammen im Teich herum, und in einer Ulme zwitscherten Vögel, aber sonst war niemand hier. Als Nächstes ging sie in den Skulpturengarten, wo Guy Brouard beerdigt worden war. Da das verwitterte Törchen offen stand, war sie ziemlich sicher, dass sie den Jungen hier finden würde.
Und so war es auch. Paul Fielder saß neben dem Grab seines Mentors auf dem kalten Boden und klopfte behutsam die Erde unter einer Gruppe Stiefmütterchen fest, die am Rand des Grabs gepflanzt waren.
Deborah ging durch den Garten auf ihn zu. Der Kies knirschte unter ihren Schritten, und sie versuchte nicht, die Geräusche zu dämpfen. Aber der Junge reagierte nicht.
Er hatte keine Strümpfe an und trug Hausschuhe anstatt Straßenschuhe. An einem mageren Fuß haftete etwas Erde, und die Säume seiner Bluejeans waren schmutzig und ausgefranst. Er war zu dünn angezogen für den kühlen Tag. Es wunderte Deborah, dass er nicht fröstelte.
Sie stieg die wenigen an den Rändern bemoosten Stufen zum Grab hinauf. Anstatt sich jedoch zu dem Jungen zu gesellen, ging sie zu dem Laubengang hinter ihm, wo unter Winterjasmin eine Steinbank stand. Die gelben Blüten verströmten einen zarten Duft. Sie atmete ihn ein und sah dem Jungen bei seiner Arbeit mit den Stiefmütterchen zu.
»Du vermisst ihn sicher sehr«, sagte sie schließlich. »Es ist furchtbar, einen Menschen zu verlieren, den man liebt. Vor allem einen Freund. Denn Freunde haben wir ja irgendwie nie genug. Den Eindruck hatte ich jedenfalls immer.«
Er neigte sich über ein Stiefmütterchen und zupfte eine verwelkte Blüte ab und rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
An einem kaum wahrnehmbaren Zucken seiner Augenlider erkannte Deborah, dass er ihr zuhörte. Sie sprach weiter. »Ich finde, das Wichtigste an einer Freundschaft ist die Freiheit, so zu sein, wie man ist. Wahre Freunde akzeptieren einen mit allen Unebenheiten. Sie sind in guten Zeiten da, und sie sind in schlechten Zeiten da. Man kann sich darauf verlassen, dass sie immer die Wahrheit sagen.«
Paul warf das Stiefmütterchen weg, und zupfte an den Stauden herum.
»Sie wollen unser Bestes«, fuhr Deborah fort. »Auch wenn wir selbst nicht wissen, was das Beste für uns ist. Ich vermute, so ein Freund war Mr. Brouard für dich. Du hattest großes Glück. Es ist
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