12 - Wer die Wahrheit sucht
verstanden - so hatte sie Jahre des Schlafwandelns und der Dämmerzustände erklärt, aus denen höchstens ein Tornado ihren Sohn hätte herausreißen können. Angst, von einer Mutter verlassen zu werden, die sich nicht nur einmal, sondern gleich dreimal wiederverheiratet hatte - damit entschuldigte sie seine Unfähigkeit, sich ein eigenes Leben zu schaffen. Frühkindliches Trauma, veranschaulicht durch jenen einen grässlichen Fall öffentlicher Defäkation, der seinen Ausschluss von der Universität zur Folge gehabt hatte. In Margarets Augen hatte es stets für alles einen Grund gegeben. Aber ihr fiel nichts mehr dazu ein, dass er eben die Frau belogen hatte, die sich aufgeopfert hatte, um sein Leben erträglicher zu gestalten. Dafür wollte sie etwas haben. Wenn sie schon nicht die Rache haben konnte, nach der sie lechzte, dann wenigstens eine Erklärung.
Noch einmal sagte sie: »Setz dich hin. Du bleibst jetzt hier. Wir haben etwas zu besprechen.«
»Was?«, fragte er, und es machte Margaret wütend, dass seine Stimme überhaupt nicht ängstlich klang, sondern tatsächlich gereizt, so als stähle sie ihm seine kostbare Zeit.
»Carmel Fitzgerald«, sagte sie. »Ich werde dieser Geschichte auf den Grund gehen.«
Er hielt ihrem Blick stand, und sie sah, dass er tatsächlich die Kühnheit besaß, ihr so frech ins Gesicht zu starren wie ein Jugendlicher, den man bei einer verbotenen Handlung erwischt hat, bei der er hatte erwischt werden wollen, um durch sie seinen Widerstand zum Ausdruck zu bringen. Es juckte sie in den Händen, ihm diesen Ausdruck - diese leicht hochgezogene Oberlippe und diese geblähten Nasenflügel - mit einer Ohrfeige aus dem Gesicht zu schlagen. Aber sie beherrschte sich und ging zu einem Sessel.
Er blieb an der Tür, aber er verließ das Zimmer nicht. »Also gut: Carmel«, sagte er. »Was ist mit ihr?«
»Du hast zu mir gesagt, dass sie und dein Vater -«
»Das hast du angenommen. Ich habe gar nichts gesagt, verdammt noch mal.«
»Untersteh dich, mit mir in diesem Ton -«
»Gar nichts, verdammt noch mal«, wiederholte er. »Kein einziges beschissenes Wort, Mutter. Keinen Furz.«
»Adrian!«
»Du hast es automatisch angenommen. Du hast mich dein Leben lang mit ihm verglichen. Und von deinem Standpunkt aus war es undenkbar, dass irgendjemand den Sohn dem Vater vorziehen würde.«
»Das ist nicht wahr!«
»Du wirst es nicht glauben, aber sie hat tatsächlich mich bevorzugt. Selbst als sie ihn hautnah erlebte. Natürlich kann man jetzt sagen, sie hätte gemerkt, dass sie nicht sein Typ war - nicht blond, nicht unterwürfig, wie er es gern hatte, nicht starr vor Ehrfurcht vor seinem Geld und seiner Macht. Tatsache ist aber, dass sie von ihm überhaupt nicht beeindruckt war, ganz gleich, wie dick er den Charme auftrug. Sie wusste, dass es nur ein Spiel war, und das stimmte ja auch: das geistreiche Gerede, die Anekdötchen, die tiefschürfenden Fragen, die scheinbar ungeteilte Aufmerksamkeit. Begehrt hat er sie nicht, aber wenn sie bereit und willens gewesen wäre, hätte er es mitgenommen, weil er das immer tat. Das weißt du ja. Wer wüsste es besser, hm? Nur war sie eben nicht bereit und willens.«
»Wieso, um alles in der Welt, hast du mir dann erzählt... hast du durchblicken lassen - denn das kannst du nicht bestreiten. Du hast durchblicken lassen. Warum?«
»Du hattest dir doch längst dein eigenes Bild gemacht. Carmel und ich haben nach unserem Besuch hier bei ihm Schluss gemacht, was für einen anderen Grund hätte es also geben können? Ich hatte ihn mit ihr beim Beischlaf erwischt -«
»Hör endlich auf!«
»- und hatte keine Wahl, als Schluss zu machen. Oder sie hatte Schluss gemacht, weil er ihr besser gefiel als ich. Das war doch das Einzige, was du dir vorstellen konntest. Wenn ich sie nämlich nicht an Dad verloren hatte, dann musste es etwas anderes sein, und daran wolltest du nicht denken, weil du hofftest, das alles wäre endlich passe.«
»Was redest du da für einen Unsinn!«
»Also, pass auf, Mutter, ich sag dir, wie's war. Carmel war bereit, so ziemlich alles hinzunehmen. Sie ist keine Schönheit, und besonders witzig ist sie auch nicht. Sie konnte nicht damit rechnen, dass sie in ihrem Leben mehr als einen Mann ergattern würde, also war sie bereit, sich für eine feste Beziehung zu entscheiden. Und nachdem sie sich entschieden hatte, war nicht damit zu rechnen, dass sie sich für andere Männer interessieren würde. Kurz, sie war perfekt. Das hast du
Weitere Kostenlose Bücher