12 - Wer die Wahrheit sucht
nachschlagen, doch dieses Gemälde werden Sie nirgends finden«, sagte Kevin Duffy. »Nur die Zeichnung, die Skizze dafür. Nach bisherigem Wissen aller Experten hat de Hooch das eigentliche Bild nie gemalt. Religiöse Themen waren nicht seine Sache, darum hat man immer angenommen, er hätte sich nur spielerisch an diesem Thema versucht und das Ergebnis ad acta gelegt.«
»Nach bisherigem Wissen.« Kevin Duffys Erklärungen erhärteten Ruth Brouards Behauptung, das Bild sei im Besitz ihrer Familie gewesen, solange man zurückdenken könne. Generation um Generation hatte es der Vater an die Kinder weitergegeben: ein Erbstück der Familie. Vielleicht war es aus diesem Grund nie jemandem eingefallen, mit dem Bild zu einem Sachverständigen zu gehen, um Genaueres darüber zu erfahren. Es war, wie Ruth gesagt hatte, immer nur das Bild von der Dame mit dem Buch und der Feder gewesen. St. James sagte Kevin Duffy, welchen Titel Ruth Brouard dem Gemälde gegeben hatte.
»Nein, das ist keine Feder«, widersprach Duffy. »Sie hält einen Palmwedel in der Hand. Das ist ein Symbol der Märtyrer, dem man auf religiösen Bildern häufig begegnet.«
St. James betrachtete das Bild genauer und erkannte, dass die Frau tatsächlich einen Palmwedel zu halten schien. Aber er konnte sich gut vorstellen, dass ein Kind, das von dieser Symbolik nichts wusste, darin einen langen, eleganten Federkiel gesehen hatte.
»Ruth erzählte mir, dass ihr Bruder nach dem Krieg nach Paris reiste, sobald er alt genug dazu war«, sagte er. »Er wollte die verbliebenen Besitztümer der Familie abholen, aber es war alles weg. Das Gemälde vermutlich auch.«
»Das wäre als Erstes verschwunden«, meinte Duffy. »Die Nazis haben ja alles an sich gerissen, was sie als arische Kunst bezeichneten. Rückführung ins Vaterlands nannten sie das. In Wahrheit haben diese Schweine alles kassiert, was sie kriegen konnten.«
»Ruth Brouard glaubt, dass der Nachbar der Familie - ein Monsieur Didier Bombard - ihre Sachen in Verwahrung hatte. Er war nicht jüdisch. Da könnte doch das Gemälde, wenn es wirklich bei ihm war, leicht bei den Nazis gelandet sein.«
»Es gab viele Wege, auf denen Kunstwerke in die Hände der Nazis gelangten. Nicht nur durch direkten Diebstahl. Es gab französische Mittelsmänner, Kunsthändler, die die Objekte für sie erwarben. Und deutsche Händler, die Annoncen in Pariser Zeitungen setzten und die Leute aufforderten, ihre Kunstwerke zur Besichtigung für Kaufinteressenten in dieses oder jenes Hotel zu bringen. Ihr Monsieur Bombard könnte das Gemälde auf diesem Weg verkauft haben. Wenn er nicht wusste, worum es sich handelte, hat er es vielleicht zu einem dieser Leute gebracht und sich gefreut, zweihundert Francs dafür einstecken zu können.«
»Und wie ging es danach weiter? Wohin wäre das Bild gewandert?«
»Wer kann das sagen?«, erwiderte Duffy. »Bei Kriegsende stellten die Alliierten Untersuchungsgruppen zusammen, um die gestohlenen Kunstwerke wieder ihren Eigentümern zuzuführen. Aber die Sachen waren überall verstreut. Göring allein hatte Zugladungen davon. Und Millionen Menschen waren tot - ganze Familien waren ausgelöscht, es war niemand mehr da, um Ansprüche geltend zu machen. Und wer noch am Leben war, aber nicht beweisen konnte, dass er Eigentümer des fraglichen Stücks war, der hatte Pech.« Er schüttelte den Kopf. »So ähnlich wird das auch mit diesem Bild gewesen sein. Vielleicht hat es auch ein Soldat der Alliierten in seinem Gepäck versteckt und als Souvenir mit nach Hause genommen. Oder jemand in Deutschland - ein privater Sammler - hat es während des Krieges einem französischen Händler abgekauft und beim Einmarsch der Alliierten so gut versteckt, dass es nicht entdeckt wurde. Ich meine, wenn es die Familie nicht mehr gab, krähte doch kein Hahn danach, was aus so einem Bild geworden ist. Und wie alt war Guy Brouard damals? Zwölf? Vierzehn? Bei Kriegsende hat er sicher nicht daran gedacht, sich das Eigentum seiner Familie zurückzuholen. Daran wird er erst Jahre später gedacht habe, und zu der Zeit war das Bild bestimmt längst verschwunden.«
»Und es wird viele Jahre gebraucht haben, es zu finden«, sagte St. James. »Und wahrscheinlich ein Heer von Kunsthistorikern, Konservatoren, Museen, Auktionshäusern und Privatdetektiven.« Außerdem ein kleines Vermögen, fügte er im Stillen hinzu.
»Es war Glück, dass er es überhaupt gefunden hat«, sagte Duffy. »Viele Werke sind im Krieg verloren
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