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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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dem Tod zu entgehen.
    China murmelte: »Fünf, vier, drei, zwei...«
    Deborah warf sich nach rückwärts und stürzte blind in die Finsternis. Einen Moment lang, der sich zur Unendlichkeit dehnte, geschah nichts. Dann erschütterte eine donnernde Explosion den Dolmen.
    Danach kam nichts mehr.
    Die Tür wurde aus der Verankerung gerissen und flog wie ein Geschoss ins dichte Gestrüpp. Ein Windstoß folgte ihr, stinkend wie ein Sturm aus der Hölle. Die Zeit schien still zustehen. Alle Geräusche versiegten, aufgesogen vom Entsetzen des Begreifens.
    Nach einer Stunde, einer Minute, einer Sekunde brach die Reaktion der ganzen Welt über den Stecknadelkopf herein, der dieser Ort auf der Insel Guernsey war. Rund um St. James begann alles zu toben wie das abfließende Wasser bei einem Dammbruch, das alles mitreißt, was es auf seinem Weg findet. Er wurde sich bewusst, dass er auf dem geschützten Fleckchen platt getretener Vegetation herumgeschoben und gestoßen wurde. Menschen rannten an ihm vorbei, und er hörte wie von einem fernen Planeten das Fluchen eines Mannes und die heiseren Rufe eines anderen. In noch weiterer Ferne schien hoch über ihnen ein dünner Schrei zu schweben, während rundherum Lichter, die Staub und Finsternis durchdringen sollten, hin und her schwangen wie die Gliedmaßen Gehängter.
    Er starrte auf den Dolmen und erkannte in der abgerissenen Tür, dem ungeheuren Lärm, dem schaurigen Windstoß die Manifestation dessen, was keiner von ihnen für möglich gehalten hatte. Als er das akzeptiert hatte, stolperte er vorwärts, direkt zur Tür, ohne zu merken, dass er sich mitten im Gestrüpp befand, das ihn festhielt. Er kämpfte sich von Stacheln und Dornen frei. Für ihn gab es nur die Tür, das Innere des Dolmen und die unsagbare Furcht vor etwas, das er nicht benennen wollte, aber dennoch begriff. Niemand musste ihm erklären, was soeben seiner Frau und ihrer Freundin, die eine Mörderin gewesen war, geschehen war.
    Jemand packte ihn, und er nahm laute Stimmen wahr und verstand auch die Worte. »O Gott. Hierher. Kommen Sie, Mann. Saumarez. Um Gottes willen, halten Sie ihn fest. Saumarez, Licht, verdammt noch mal. Hier drüben. Hawthorne, gleich werden die Leute oben vom Haus kommen. Halten Sie sie zurück.«
    Er wurde gezogen und gezerrt und dann vorwärts gestoßen. Dann war er von den Hecken befreit und rannte Le Gallez hinterher zum Dolmen.
    Denn der stand da, wie er schon seit hunderttausend Jahren stand:
    Granit, aus dem Stoff gehauen, aus dem die Insel selbst gemacht war, Mauern, Boden, Decke, und dann in der Erde verborgen, die die Menschen hervorgebracht hatte, die immer wieder versuchen sollten, ihn zu zerstören.
    Ohne Erfolg. Selbst jetzt.
    Le Gallez brüllte Befehle. Er hatte seine Taschenlampe herausgezogen und leuchtete mit ihr ins Innere des Dolmen. Ihr Licht fiel auf den Staub, der in die Höhe stieg wie die erlösten Seelen am Tag des Jüngsten Gerichts. Über seine Schulter hinweg sprach er mit einem seiner Männer, der ihn etwas fragte. Und diese Frage - wie auch immer sie lautete, St. James war unfähig, irgendetwas wahrzunehmen außer dem, was dort im Inneren des Dolmen auf ihn wartete - veranlasste Le Gallez, an der Tür stehen zu bleiben, um zu antworten. St. James sah eine Gelegenheit, in den Dolmen hineinzukommen, die sich ihm sonst vielleicht nicht geboten hätte, und er nutzte sie. Er begann zu beten, als er hineinschlüpfte, mit Gott zu feilschen: Wenn sie überlebt, werde ich alles tun, alles sein, alles versuchen, was du willst, alles annehmen. Nur bitte, Gott, nicht dies, nicht dies.
    Er hatte keine Lampe, aber das machte nichts. Er brauchte kein Licht, er hatte seine Hände. Er ertastete sich seinen Weg ins Innere. Er schlug mit den Händen auf die rauen Steine, er schrammte mit den Knien dagegen, und in seiner Hast stieß er sich an irgendeinem tiefen Stein in der Decke den Kopf an. Er taumelte und fühlte die Wärme seines Bluts, das aus der Wunde an der Stirn sickerte. Er feilschte immer noch. Ich werde alles sein, was du von mir verlangst, alles tun, alles annehmen, ohne Frage. Ich werde für andere leben, nur für sie leben, treu und loyal sein, besser zuhören, versuchen zu verstehen, denn da liegt mein Versagen, da lag es schon immer, und du weißt das, und darum hast du sie mir genommen. Ist es nicht so, ist es nicht so, ist es nicht so.
    Er hätte sich auf die Knie hinuntergelassen und wäre gekrochen, aber er konnte nicht. Er war in der Schiene eingesperrt,

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