12 - Wer die Wahrheit sucht
zu glatten, kräftigen Flächen wurden, wenn er die Arme hob.
Ihr fiel auf, dass sein Hemd schmutzig war. Auf dem Kragen waren rotbraune Flecken, als hätte er sich beim Rasieren geschnitten und das Blut hastig mit seinem Hemd abgetupft. Schmutzstreifen zogen sich über den Ärmel an dem Arm, der näher bei ihr lag, und auch der Stoff der Manschetten war mit Blut voll gesogen. Mehr sah sie nicht von ihm, und ihr fehlte die Kraft, ihn zu wecken. Sie konnte nur ihre Finger ein paar Zentimeter näher zu ihm hin schieben. Aber das genügte.
Simon hob den Kopf. Er sprach, aber das Geräusch in ihrem Kopf übertönte alles, und sie konnte ihn nicht hören. Sie schüttelte den Kopf, versuchte, selbst zu sprechen, konnte aber auch das nicht, weil ihre Kehle so trocken war und Zunge und Lippen an ihren Zähnen zu kleben schienen.
Simon griff nach etwas, das auf dem Tisch am Bett stand. Er hob ihren Kopf ein wenig an und hielt ihr einen Plastikbecher mit einem gebogenen Trinkhalm an die Lippen, den er ihr behutsam in den Mund schob. Sie trank dankbar das Wasser, es war lauwarm, aber das machte ihr nichts aus. Während sie trank, spürte sie, wie er näher kam. Sie fühlte sein Zittern und glaubte, dass er gleich das Wasser verschütten würde. Sie wollte seine Hand ruhig halten, aber er ließ sie nicht. Er hob ihre Hand an seine Wange und ihre Finger an seinen Mund. Er neigte sich zu ihr hinunter und drückte seine Wange auf ihren Scheitel.
Deborah war mit dem Leben davongekommen, erklärte man ihm, weil sie entweder nie in die innere Kammer, wo die Explosion stattgefunden hatte, hineingegangen war, oder weil sie es geschafft hatte, kurz vor der Explosion der Granate aus ihr in die größere Kammer zu fliehen. Es sei eindeutig eine Handgranate gewesen, sagte die Polizei. Es gab Beweise genug dafür.
Was die andere Frau anging... Niemand zündete einen mit TNT gefüllten Sprengkörper in der eigenen Hand und überlebte. Die Polizei vermutete, dass die Explosion absichtlich herbeigeführt worden war. Eine andere Erklärung gab es nicht.
»Ein Glück, dass die Explosion unter dem Hügel passierte«, sagten zuerst die Polizisten und dann zwei Ärzte vom Princess Elizabeth Hospital zu St. James. »Jeder andere Bau wäre bei so einer Explosion über den beiden eingestürzt. Sie wäre zermalmt, wenn nicht bis nach Timbuktu geschleudert worden. Sie hat Glück gehabt. Alle haben Glück gehabt. Ein moderner Sprengstoff hätte nicht nur den Dolmen, sondern die ganze Koppel weggefegt. Wie, zum Teufel, ist die Frau an diese Granate gekommen? Das ist doch die entscheidende Frage.«
Nur eine der entscheidenden Fragen, dachte St. James. Die anderen begannen alle mit dem Wort warum. Dass China River zum Dolmen zurückgekehrt war, um das Gemälde zu holen, das sie dort versteckt hatte, daran gab es keinen Zweifel. Dass sie irgendwie davon erfahren hatte, dass das Gemälde zum Transport nach Guernsey unter den Bauplänen versteckt war, war ebenfalls klar. Dass sie das Verbrechen eingebettet in die ihr bekannten Gewohnheiten Guy Brouards geplant und ausgeführt hatte, konnten sie sich aus den Gesprächen zusammenreimen, die sie mit den Betroffenen geführt hatten. Aber der Grund des Ganzen blieb zunächst rätselhaft. Warum hatte sie sich die Mühe gemacht, ein Gemälde zu stehlen, das sie niemals auf dem freien Merkt hätte verkaufen können, sondern höchstens zu einem Preis, der weit geringer gewesen wäre als der tatsächliche Wert, an einen privaten Sammler... Und auch nur dann, wenn sich ein Sammler gefunden hätte, der sich nichts daraus gemacht hätte, ein gestohlenes Kunstwerk zu erwerben. Warum hatte sie lediglich auf die geringe Chance hin, dass die Polizei eine Flasche finden würde, die die Fingerabdrücke ihres Bruders trug und Reste des Opiats enthielt, mit dem das Opfer betäubt worden war, Spuren gelegt, die sie selbst in Verdacht bringen mussten? Und warum hatte sie die Spuren gelegt, die ihren Bruder in Verdacht bringen mussten? Das vor allem.
Weiter war da der Ablauf. Wie hatte sie sich das Feenrad beschafft, mit dem sie Brouard erstickt hatte? Hatte er es ihr gezeigt? Hatte sie gewusst, dass er es bei sich trug? Hatte sie geplant, es für den Mord zu benutzen? Oder war das ein Moment plötzlicher Eingebung gewesen, in dem sie beschlossen hatte, Verwirrung zu stiften, indem sie statt des Rings, den sie mitgebracht hatte, etwas verwendete, was sie an diesem Morgen in einer der Taschen von Brouards zum Schwimmen
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