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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gestört. Findest du das interessant?, hatte er gefragt, wenn er sich rasierte, während sie zusammen waren. Und nie machte er sich darüber lustig, dass Paul sich trotz seines Alters noch nicht zu rasieren brauchte. Wie kurz soll ich es schneiden lassen?, fragte er, wenn Paul ihn zum Friseur in St. Peter Port begleitete. Gehen Sie nur schön vorsichtig mit der Schere um, Hal. Wie Sie sehen, habe ich meinen Leibwächter mit, der Ihnen genau auf die Finger sieht. Und dann hatte er Paul zugezwinkert und das Zeichen gegeben, das Freunde bis zum Tod bedeutete: Die gekreuzten Finger der rechten Hand auf die Handfläche der linken gedrückt.
    Nun war der Tod da.
    Paul spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, und er unterdrückte sie nicht. Er war ja nicht zu Hause und auch nicht in der Schule. Hier durfte er Mr. Guy vermissen. Er weinte so viel und so lange, wie er weinen musste, bis ihm der Magen wehtat und seine Augen brannten. Und im Kerzenlicht sah Taboo ihn mit treuen Augen an, bedingungslose Akzeptanz und Liebe im Blick.
    Als Paul schließlich leer geweint war, begriff er, dass er sich an das Gute erinnern musste, das er durch die Bekanntschaft mit Mr. Guy erlebt hatte: All der Dinge, die Mr. Guy ihn gelehrt, die er durch ihn schätzen gelernt, an die zu glauben er ihn ermutigt hatte. Wir sind zu Höherem bestimmt, als uns nur durch das Leben zu schlagen, hatte sein Freund ihm mehr als einmal erklärt. Wir sind dazu bestimmt, die Vergangenheit zu klären, um eine heile Zukunft möglich zu machen.
    Ein Beitrag zu dieser Vergangenheitsklärung hatte das Museum sein sollen. Sie hatten deswegen viele Stunden mit Mr. Ouseley und seinem Vater verbracht. Diese beiden und Mr. Guy hatten Paul gelehrt, welche Bedeutung Dinge haben konnten, die er früher achtlos weggeworfen hätte: die Gürtelschließe, zum Beispiel, die, unter Unkraut versteckt und seit Jahrzehnten begraben, auf dem Gelände von Fort Doyle gelegen hatte, bis ein Sturm das Erdreich von einem Felsbrocken weggefegt hatte; die unbrauchbare Laterne von einem Flohmarkt; der verrostete Orden; die Knöpfe; der erdverkrustete Teller. Diese Insel ist ein wahrer Friedhof, hatte Mr. Guy gesagt, und wir werden hier einiges exhumieren. Möchtest du dabei helfen? Die Antwort war einfach. Er wollte bei allem helfen, was Mr. Guy tat.
    Zusammen mit Mr. Guy und Mr. Ouseley hatte er sich in die Arbeit für das Museum gestürzt. Auf all seinen Wegen auf der Insel hielt er die Augen offen, um vielleicht etwas zu der umfangreichen Sammlung beitragen zu können.
    Und schließlich hatte er tatsächlich etwas gefunden. Er war mit seinem Fahrrad nach La Congrelle gefahren, wo die Nazis einen ihrer hässlichsten Wachtürme erbaut hatten: ein futuristischer Betonklotz mit Schießscharten, aus denen ihre Flakgeschütze alles abschießen konnten, was sich der Küste näherte.
    Aber er war nicht gekommen, um nach irgendwelchen Relikten der fünf Jahre währenden deutschen Besatzung zu suchen. Er war hergekommen, um sich das letzte Auto anzuschauen, das hier abgestürzt war.
    In La Congrelle gab es einen der wenigen Küstenfelsen auf der Insel, zu dem man mit dem Auto hinausfahren konnte. Andere Felsen konnte man nur zu Fuß erreichen, nachdem man seinen Wagen auf einem sicheren Parkplatz abgestellt hatte, aber in La Congrelle war es möglich, bis an den Rand des Abgrunds hinauszufahren. Die Stelle eignete sich hervorragend dazu, einen Selbstmord als Unfall zu tarnen, man brauchte nämlich nur am Ende der Straße von der Rue de la Trigale nach rechts zum Kanal abzubiegen und auf den letzten fünfzig Metern durch Gras und niedrig stehenden Farn zu beschleunigen. Ein letzter kräftiger Tritt aufs Gaspedal, wenn das Land vor der Kühlerhaube verschwand, und der Wagen schoss über die Kante und stürzte die Felswand hinunter in den Abgrund, bis er entweder von zackigen Granitspitzen abgefangen wurde oder direkt ins Wasser klatschte, oder in Flammen aufging.
    Das Auto, das Paul sich anschauen wollte, war verbrannt. Außer rußschwarzem verbogenem Metall und einem verkohlten Sitz war nichts von ihm übrig, etwas enttäuschend nach der langen Radfahrt gegen den Wind. Hätte es mehr zu sehen gegeben, so hätte Paul vielleicht den gefährlichen Abstieg gewagt, um das Wrack näher in Augenschein zu nehmen. So aber richtete er sein Interesse auf das Gebiet um den Wachturm.
    Es hatte hier vor kurzem einen Steinschlag gegeben, das erkannte er an der Lage der Steine und an den Verwüstungen des

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