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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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steinerner Raum, den die Menschen der Vorzeit aufgesucht hatten, um ihre Toten auf die letzte Reise zu schicken. Man nannte diesen Hügel einen Dolmen, und es gab sogar einen Altar - wenn der auch in Pauls Augen mehr wie ein abgeschliffener alter Stein aussah, der sich nur ein paar Zentimeter über den Boden erhob - und eine zweite Kammer, wo religiöse Rituale stattgefunden hatten, über die man nur Mutmaßungen anstellen konnte.
    Paul hatte zugehört, sich umgesehen und in der Kälte gefröstelt bei diesem ersten Besuch im Geheimversteck. Und als Mr. Guy die Kerzen angezündet hatte, die er in einer flachen Nische zu Füßen des Altarsteins aufbewahrte, hatte er gesehen, dass Paul zitterte, und sofort reagiert.
    Er hatte ihn in die zweite Kammer geführt, die eine Form hatte wie zwei muschelförmig aneinander gelegte Hände und in die man hineingelangte, indem man sich hinter einen aufrecht stehenden Stein zwängte, der wie ein Standbild in der Kirche aufragte und eingeritzte Verzierungen trug. In dieser zweiten Kammer hatte Mr. Guy ein Feldbett aufgebaut. Er hatte Decken und ein Kissen dort gehabt, Kerzen und einen kleinen Holzkasten.
    Er hatte gesagt: Ich komme manchmal hierher, um nachzudenken, um allein zu sein und zu meditieren. Meditierst du auch manchmal, Paul? Weißt du, was das ist, den Geist zur Ruhe zu bringen? Zu leeren, so dass nichts bleibt als du und Gott und das Wesen aller Dinge? Hm? Nein? Nun, vielleicht können wir das zusammen versuchen, ein wenig üben. Hier. Nimm die Decke. Komm, ich zeige dir alles.
    Geheime Orte, dachte Paul. Besondere Orte, die man mit besonderen Freunden teilte. Oder Orte, wo man allein sein konnte, wenn man das Bedürfnis hatte, allein zu sein. Wie jetzt.
    Aber Paul war vorher noch nie allein hier gewesen. Dies war das erste Mal.
    Er tappte vorsichtig in die zentrale Kammer des Dolmen und tastete sich zum Altarstein vor. Wie ein Blinder schob er seine Hände über die flache Oberfläche des Steins zu der Nische, in der die Kerzen waren. Neben den Kerzen lag eine Blechdose, die einmal Pfefferminzbonbons enthalten hatte, und in ihr waren, vor der Feuchtigkeit geschützt, die Streichhölzer. Er stellte seinen Rucksack auf den Boden, zündete eine Kerze an und befestigte sie mit ein paar Tropfen Wachs auf dem Altarstein.
    Mit ein wenig Licht war ihm nicht mehr so ängstlich zumute, ganz allein in dieser feuchten, düsteren Höhle. Er ließ den Blick über die alten Granitmauern schweifen, das Dachgewölbe, den narbigen Boden. Unglaublich, dass die Menschen der Vorzeit ein solches Bauwerk errichten konnten, hatte Mr. Guy gesagt. Wir mit unseren Handys, unseren Computern und dem ganzen Kram bilden uns ein, der Steinzeit haushoch überlegen zu sein. Aber schau dir das hier an, mein Prinz, schau dir das einmal an. Was haben wir in den letzten hundert Jahren erbaut, von dem wir sagen können, dass es in hunderttausend Jahren noch stehen wird? Nichts! Komm, Paul, sieh dir nur mal diesen Stein an...
    Und während er schaute, legte ihm Mr. Guy eine Hand auf die Schulter und folgte mit der anderen den Spuren, die viele Hände vor ihm in den Stein gearbeitet hatten, der die Nebenkammer mit Mr. Guys Feldbett und den Decken bewachte. Dorthin, in diese Nebenkammer, ging Paul jetzt mit seinem Rucksack am Arm und einer zweiten brennenden Kerze in der Hand. Taboo folgte ihm, als er sich an dem steinernen Wächter vorbeidrängte. Er stellte den Rucksack auf den Boden und die Kerze auf die Holzkiste, die voller Wachsflecken von anderen Kerzen war. Er nahm eine der Decken vom Feldbett, faltete sie zusammen und legte sie für Taboo auf den kalten Steinboden. Der Hund sprang dankbar auf das Lager und drehte sich dreimal im Kreis, um es sich zu Eigen zu machen, bevor er sich aufseufzend niederlegte. Er ließ den Kopf auf die Pfoten sinken und richtete seinen Blick auf Paul.
    Dieser Hund glaubt, ich will dir etwas Böses tun, mein Prinz.
    Aber nein. Das war einfach Taboos Art. Er wusste, was für eine wichtige Rolle er im Leben seines Herrn spielte - als einziger Freund und einziger Gefährte, bis Mr. Guy aufgetaucht war -, und er wollte Paul wissen lassen, dass er seine Rolle kannte. Da er es ihm nicht sagen konnte, begleitete er ihn mit Blicken: auf Schritt und Tritt den ganzen Tag lang, jeden Tag.
    Genauso hatte Paul Mr. Guy mit Blicken begleitet, wann immer sie zusammen gewesen waren. Und im Gegensatz zu anderen Menschen in Pauls Leben hatte Mr. Guy der unverwandte Blick seines Freundes nie

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