12 - Wer die Wahrheit sucht
das zeige, dann hat das etwas zu bedeuten, Paul. Etwas, das größer ist als Worte. Und größer als Gedanken.
Paul schätzte, dass das Geheimfach für die Granate genug Raum bot. Er hatte es schon früher einmal mit eigener Hand erforscht, von Mr. Guys Hand geführt und seinen leisen, beruhigenden Worten begleitet: Im Augenblick ist das Fach leer. Es würde mir nicht einfallen, dir einen gemeinen Streich zu spielen, mein Prinz. Daher wusste Paul, dass hinter dem Stein ausreichend Platz war für zwei übereinander gelegte Hände, also auch mehr als ausreichend Platz für eine Granate. Und tief genug war das Fach auch. Sein Ende hatte Paul nicht ertasten können, so weit er seinen Arm auch hineingestreckt hatte.
Er schob das Feldbett auf die Seite und die Holzkiste mit der Kerze in die Mitte der Kammer. Taboo reagierte auf diese Veränderungen seiner Umgebung mit Winseln, und Paul tätschelte ihm den Kopf und tippte ihm liebevoll auf die Schnauze. Keine Sorge, bedeutete die Geste. Wir sind hier sicher. Niemand außer dir und mir kennt das Versteck.
Die Granate fest in der Hand, legte sich Paul auf den kalten Steinboden, schob seinen Arm in den engen Spalt, der etwa fünfzehn Zentimeter hinter der Öffnung breiter wurde. Er konnte nicht weit ins Innere des Geheimfachs hineinsehen, aber er hatte die Lage der zweiten Öffnung noch in Erinnerung und war sicher, die Granate ohne Problem dahinter ablegen zu können.
Aber es gab doch ein Problem. Keine zehn Zentimeter tief im Spalt stieß er völlig unerwartet auf Widerstand, auf etwas Festes und Unverrückbares.
Er schnappte erschrocken nach Luft und zog seine Hand zurück, aber er brauchte nur einen Moment, um sich darüber klar zu werden, dass dieses Ding, auf das er gestoßen war, nichts Lebendiges war, und dass daher zu Furcht kein Anlass bestand. Vorsichtig legte er die Granate auf dem Feldbett ab und hielt die Kerze näher an die Öffnung des Spalts.
Das Dumme war, dass er nicht gleichzeitig in das Loch hineinleuchten und hineinsehen konnte. Darum streckte er sich wieder auf dem Bauch aus und schob zuerst seine Hand, dann seinen Arm in das Geheimfach.
Seine Finger ertasteten den Gegenstand: fest, aber doch nachgiebig, nicht hart, glatt, zylinderförmig. Er umfasste ihn mit der ganzen Hand und begann, ihn herauszuziehen.
Das hier ist ein besonderer Ort, ein Ort voller Geheimnisse, und er ist jetzt unser Geheimnis. Deines und meines. Kannst du ein Geheimnis bewahren, Paul?
Ja, das konnte er. Und wie er das konnte! Während Paul das Ding zu sich heranzog, erkannte er, was Mr. Guy im Inneren des Dolmen versteckt hatte.
Die Insel war ja ein Land der Geheimnisse, und der Dolmen war ein geheimer Ort in diesem Land voll begrabener und verschwiegener Erinnerungen, die die Menschen vergessen wollten. Paul fand es nicht verwunderlich, dass tief im uralten Erdreich, das immer noch Orden, Säbel, Patronen und andere Gegenstände freigab, die mehr als ein halbes Jahrhundert in ihm geborgen gewesen waren, etwas noch Wertvolleres verschüttet lag, aus Freibeuterzeiten oder noch früheren Tagen vielleicht, auf jeden Fall etwas Kostbares. Und was er da aus dem Spalt zwischen den Steinen zog, war der Schlüssel zum Versteck dieses lang verschütteten Gegenstands.
Er hatte ein letztes Geschenk von Mr. Guy gefunden, der ihm schon so viel geschenkt hatte.
»Énne rouelle de faitot«, sagte Ruth Brouard in Antwort auf Margaret Chamberlains Frage. »Man benutzte sie bei Scheunen.« Margaret hatte den Verdacht, dass Ruth sich absichtlich unklar ausgedrückt hatte. Es wäre jedenfalls typisch für sie. Margaret hatte sie nie besonders gut leiden können, obwohl sie während ihrer Ehe mit Guy mit Ruth hatte zusammenleben müssen. Ruth hatte sich viel zu sehr an Guy geklammert, und allzu viel Anhänglichkeit zwischen Geschwistern war unschicklich. Das roch nach... Margaret wollte nicht einmal daran denken. Sie wusste natürlich, dass diese beiden Geschwister - jüdischer Herkunft wie sie selbst, aber im Zweiten Weltkrieg vom Schicksal schwer geschlagen, so dass man in Bezug auf ihr Verhalten gewisse Zugeständnisse machen musste - unter den Nazis, diesem Inbegriff des Bösen, ihre ganze Familie verloren hatten und so von Kindheit an gezwungen gewesen waren, einander alles zu sein. Aber dass Ruth in all den nachfolgenden Jahren sich niemals ein eigenes Leben aufgebaut hatte, war nicht nur fragwürdig und präviktorianisch, es machte sie in Margarets Augen zu einer Frau, die ihre
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