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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Bestimmung verfehlt hatte, zu einem minderwertigen Geschöpf, das nur ein halbes Leben gelebt hatte, und noch dazu ein Leben im Schatten ihres Bruders.
    Margaret mahnte sich zur Geduld. »Bei Scheunen?«, wiederholte sie. »Das verstehe ich nicht, meine Liebe. Der Stein muss doch ziemlich klein gewesen sein. Um in Guys Mund zu passen, meine ich.« Sie sah, wie ihre ehemalige Schwägerin bei der letzten Bemerkung zusammenzuckte, als weckte das Sprechen darüber ihre dunkelsten Fantasien über die Art und Weise, wie Guy den Tod gefunden hatte: in tödlichen Zuckungen liegend, die Hände vergeblich in seinen Hals gekrallt. Tja, das konnte man nicht ändern. Margaret brauchte Gewissheit und würde sie bekommen.
    »Wozu wäre er in einer Scheune benutzt worden, Ruth?«
    Ruth sah von der Stickerei auf, mit der sie bereits beschäftigt gewesen war, als Margaret sie im Damenzimmer gefunden hatte. Es war ein sehr großes Stück Leinwand, auf einen hölzernen Rahmen gespannt, der seinerseits auf einem Ständer befestigt war. Und vor diesem Ständer saß Ruth, eine schmächtige kleine Gestalt in schwarzer Hose und einer übergroßen schwarzen Strickjacke, die wahrscheinlich Guy gehört hatte. Die Brille mit den runden Gläsern war ihr auf die Nasenspitze hinuntergerutscht, und sie schob sie mit kindlich kleiner Hand wieder hinauf.
    »Man benutzt den Stein nicht in der Scheune«, erklärte sie. »Er hängt an einem Ring mit den Schlüsseln zur Scheune. So hat man es jedenfalls früher gehalten. Heute gibt es ja kaum noch Scheunen in Guernsey. Der Stein sollte die Scheune vor bösen Geister schützen, Margaret.«
    »Ach so. Ein Talisman.«
    »Ja.«
    »Aha.« Lächerlich, diese Inselbewohner, dachte Margaret. Talismane gegen böse Geister. Hokuspokus zur Abwehr von Kobolden. Hexen auf den Klippen. Teufel auf der Lauer. Sie hätte nie geglaubt, dass ihr verflossener Ehemann auf solchen Quatsch hereinfallen würde. »Haben sie dir den Stein gezeigt? Hast du ihn erkannt? Hat er Guy gehört? Ich frage nur, weil es ihm so gar nicht ähnlich sah, Talismane und dergleichen mit sich herumzutragen. Zumindest sah es dem Mann nicht ähnlich, den ich kannte. Erhoffte er sich davon Glück bei irgendeiner Unternehmung?«
    Bei einer Frau?, dachte sie, sagte es aber nicht, obwohl sie beide wussten, dass die Frage im Raum stand. Das Einzige, was Guy Brouard neben seinen Geschäften - bei denen, wie einst bei König Midas, alles, was er anfasste, zu Gold wurde, so dass er gar keinen Glücksbringer brauchte - interessierte, war die Eroberung von Frauen und die damit verbundene Jagd. Das hatte Margaret allerdings erst herausgefunden, als sie eines Tages auf der Suche nach dem Scheckbuch ihres Mannes in seinem Aktenkoffer ein Damenhöschen entdeckt hatte, spaßeshalber von der Stewardess aus Edinburgh dort hineingesteckt, mit der er sie betrog. Damit war ihre Ehe beendet gewesen. In den folgenden zwei Jahren war es nur noch darum gegangen, ihren Anwalt eine Vereinbarung aushandeln zu lassen, die ihr eine sorgenfreie Zukunft garantierte.
    »Das einzige Unternehmen, mit dem er sich in letzter Zeit befasst hat, war das Kriegsmuseum.« Ruth beugte sich wieder über ihre Stickerei und zog die Nadel geschickt durch den Stoff mit dem Bild, das darauf vorgezeichnet war. »Und deswegen hat er sicher keinen Glücksbringer getragen. Er brauchte keinen. Die Sache entwickelte sich gut, so viel ich weiß.« Sie blickte wieder hoch, die Nadel über dem Stoff. »Hat er dir von dem Museum erzählt, Margaret? Hat Adrian dir davon erzählt?«
    Margaret wollte nicht über Adrian sprechen, weder mit ihrer ehemaligen Schwägerin noch mit sonst jemandem. Sie sagte daher: »Ja. Ja, natürlich. Das Museum. Ja, ich wusste davon.«
    Ruth lächelte, nach innen gekehrt und liebevoll. »Er war sehr stolz darauf. Etwas in dieser Art für die Insel tun zu können. Etwas Bleibendes zu schaffen, das gut und sinnvoll ist.«
    Ganz im Gegensatz zu seinem Leben, dachte Margaret. Sie war nicht hier, um sich Lobreden auf Guy Brouard anzuhören, den großen Gönner. Sie war einzig hier, um dafür zu sorgen, dass Guy Brouard sich wenigstens im Tod als Gönner seines einzigen Sohnes erweisen würde.
    »Und was wird jetzt aus seinen Plänen?«, fragte sie.
    »Ich denke, das hängt von den Bestimmungen des Testaments ab«, antwortete Ruth. Es klang vorsichtig. Zu vorsichtig, fand Margaret. »Von Guys Testament, meine ich. Natürlich, wessen sonst? Ich habe seinen Anwalt noch nicht

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