12 - Wer die Wahrheit sucht
Polizei nicht eine Frau festgenommen?«
»Doch.«
»Und sie und Guy waren nicht -?«
»Aber nein. Sie war nur ein paar Tage hier. Es hatte nichts mit - ach, nichts.«
Margaret neigte den Kopf leicht zur Seite, Ruth sah ihr an, was sie dachte. Wenn es um Sex gegangen war, hatten Guy Brouard gewöhnlich ein paar Stunden genügt, um an sein Ziel zu gelangen. Gleich würde Margaret in dieser Richtung zu bohren anfangen. Ihr listiger Gesichtsausdruck verriet deutlich, dass sie nach einem Ansatzpunkt suchte, der nicht morbide Neugier und ihre Auffassung durchklingen lassen würde, dass ihr Exmann, der Schürzenjäger, bekommen hatte, was er verdiente, sondern nur Anteilnahme an Ruths Schmerz über den Verlust ihres Bruders, den sie mehr als ihr eigenes Leben geliebt hatte.
Aber es blieb Ruth erspart, dieses Gespräch führen zu müssen. An der Tür erklang ein zaghaftes Klopfen, und gleich darauf sagte jemand mit unsicherer Stimme: »Ruthie? Ich - ich störe doch nicht...?«
Ruth und Margaret drehten sich um. Eine Frau stand an der Tür und hinter ihr ein hoch aufgeschossenes, junges Mädchen, der der Umgang mit ihren langen Gliedern noch nicht vertraut war.
»Anaïs«, sagte Ruth. »Ich habe euch gar nicht kommen hören.«
»Wir haben unseren Schlüssel benutzt.« Anaïs zeigte den Messingschlüssel, Symbol ihres Platzes in Guys Leben, das traurig auf ihrer offenen Hand lag. »Ich hoffe, das war - ach, Ruth, ich kann es nicht glauben. ich kann es immer noch nicht.« Sie begann zu weinen.
Das junge Mädchen hinter ihr schaute verlegen weg und wischte sich die Hände an ihrer Hose ab. Ruth ging durchs Zimmer und nahm Anaïs Abbott in die Arme. »Du kannst den Schlüssel benutzen, solange du willst. Guy hätte es so gewünscht.«
Während Anaïs weinend an ihrer Schulter lag, streckte Ruth der fünfzehnjährigen Tochter der Frau die Hand entgegen. Jemima lächelte flüchtig - sie und Ruth hatten sich immer gut verstanden -, aber sie kam nicht näher. Sie blickte an Ruth vorbei zu Margaret und dann zu ihrer Mutter und sagte leise und gequält: »Mami!« Sie konnte solche Demonstrationen nicht leiden. Ruth hatte in der Zeit, seit sie das Mädchen kannte, mehr als einmal beobachtet, wie unangenehm ihr die Neigung ihrer Mutter zu öffentlicher Zurschaustellung ihrer Gefühle war.
Margaret räusperte sich vielsagend. Anaïs löste sich aus Ruths Armen und zog ein Päckchen Papiertaschentücher aus der Jackentasche ihres Hosenanzugs. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und trug auf dem sorgfältig frisierten, rotblonden Haar ein schmales Hütchen.
Ruth machte die Frauen miteinander bekannt, eine etwas peinliche Angelegenheit: geschiedene Frau, derzeitige Geliebte, Tochter der derzeitigen Geliebten. Auf ein paar höfliche Floskeln der Begrüßung zwischen Anaïs und Margaret folgte augenblicklich die gegenseitige Begutachtung.
Sie hätten unterschiedlicher kaum sein können. Abgesehen davon, dass sie beide blond waren - Guy hatte immer ein Faible für Blondinen gehabt -, gab es keine Ähnlichkeiten zwischen den beiden Frauen, außer vielleicht was ihre Herkunft anging, denn, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Guy hatte immer auch ein Faible für das Gewöhnliche gehabt.
Und ganz gleich, was für eine Schulbildung die beiden genossen hatten, wie sie sich kleideten, wie sie sich verhielten und wie sie sich ausdrückten, immer noch brach bei Anaïs hin und wieder das mittelenglische Landmädel durch, und Margarets Mutter, die Putzfrau, meldete sich stets dann, wenn es ihrer Tochter am wenigsten passte.
Sonst jedoch waren sie so verschieden wie Tag und Nacht. Margaret groß, stattlich, überkorrekt gekleidet und dominant; Anaïs ein zerbrechliches Vögelchen, dem grässlichen Zeitgeist entsprechend dünn bis zur Auszehrung - bis auf den unverkennbar künstlichen und viel zu üppigen Busen - und stets wie eine Frau gekleidet, die niemals auch nur ein Kleidungsstück anlegt, ohne sich den Beifall ihres Spiegels geholt zu haben.
Margaret war selbstverständlich nicht nach Guernsey gekommen, um eine der vielen Gespielinnen ihres verflossenen Ehemanns kennen zu lernen, geschweige denn, zu trösten oder zu unterhalten. Nachdem sie also mit Würde und geheuchelter Freundlichkeit: »Freut mich, Sie kennen zu lernen«, gemurmelt hatte, sagte sie zu Ruth: »Wir sprechen uns später, Liebste«, umarmte sie, küsste sie auf beide Wangen und sagte: »Liebste Ruth«, als wollte sie Anaïs Abbot mit dieser untypischen und
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