12 - Wer die Wahrheit sucht
die er bestimmt nicht lernt, solange sie ihn am Gängelband hält.
Aber Guy hatte sich mit seinen Ansichten nie durchgesetzt. Das Resultat war Adrian, so wie er heute war, siebenunddreißig Jahre alt, ohne eine besondere Begabung oder Fähigkeit, über die er sich hätte definieren können. Bekannt waren einzig Misserfolge auf allen Gebieten, vom Sport bis zur Liebe, die direkt auf Adrians Beziehung zu seiner Mutter zurückzuführen waren. Man brauchte kein Psychologe zu sein, um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen. Aber Margaret würde das natürlich niemals so sehen, denn dann müsste sie ja zumindest einen Teil der Verantwortung für die niemals endenden Probleme ihres Sohnes übernehmen. Und das würde sie nie akzeptieren.
So war sie. Eine Frau, die stets alle Schuld von sich wies und kein Mitleid kannte.
Der arme Adrian, mit einer solchen Mutter geschlagen zu sein. Dass sie es gut meinte, bedeutete gar nichts, wenn man sah, was sie letztlich anrichtete.
Ruths Blick ruhte auf Margaret, während diese so tat, als betrachtete sie interessiert das einzige Andenken, das Ruth von ihrer Mutter hatte: das für immer zerbrochene kleine Medaillon. Sie war eine stattliche Frau, blond, mit resolut hochgekämmtem Haar und einer Sonnenbrille - mitten im grauen Dezember? Höchst seltsam, eigentlich! -, die sie auf den Kopf geklemmt hatte. Ruth konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Bruder einmal mit dieser Frau verheiratet gewesen war. Aber sie hatte sich die beiden nie als Paar vorstellen können - was das Sexuelle anging, ja, gut, der Sexualtrieb, der nun einmal Teil der menschlichen Natur war, ließ ja die seltsamsten Paarungen entstehen. Aber niemals, was das Emotionale anging, den nährenden Teil, jenen Teil, den sie - die auf diesem Gebiet keine Erfahrung hatte - sich als die fruchtbare Erde vorstellte, in die man die Familie und die Zukunft pflanzte.
So wie sich die Dinge zwischen ihrem Bruder und Margaret entwickelten, hatte sich schnell gezeigt, dass Ruths Vermutung, dass sie nicht zueinander passten, richtig war. Hätten sie nicht in einem seltenen Moment hitziger Leidenschaft den bedauernswerten Adrian gezeugt, wäre nach Beendigung der Ehe wahrscheinlich jeder seiner Wege gegangen: Sie - froh, so viel Geld aus den Trümmern der Beziehung herausgeschlagen zu haben; er - gern bereit, sich von diesem Geld zu trennen, wenn er damit einen seiner schlimmsten Fehler so gut wie ungeschehen machen konnte. Aber Adrian war da gewesen, und Margaret war nicht in der Versenkung verschwunden. Denn Guy hatte seinen Sohn geliebt - auch wenn dieser seine Hoffnungen enttäuschte -, und solange er Adrian sagte, musste er auch Margaret sagen. Bis einer von ihnen beiden starb: Guy oder Margaret.
Aber darüber wollte Ruth nicht nachdenken und erst recht nicht sprechen, obwohl ihr klar war, dass sie das Thema nicht ewig meiden konnte.
Als hätte Margaret ihre Gedanken gelesen, legte sie das Medaillon wieder auf den Sekretär und sagte: »Ruth, Liebste, aus Adrian habe ich bisher keine zehn Worte darüber herausbekommen, was eigentlich passiert ist. Ich hoffe, du wirst es nicht als makaber empfinden, aber ich möchte verstehen, wie das geschehen konnte. Der Guy, den ich kannte, hatte in seinem ganzen Leben nicht einen Feind. Na ja, da waren natürlich seine Frauen, und Frauen haben es nicht besonders gern, wenn man sie abschiebt. Aber selbst wenn er -«
»Margaret! Bitte!«, sagte Ruth.
»Warte!«, entgegnete Margaret und sprach hastig weiter. »Es hat doch keinen Sinn, sich etwas vorzumachen, Ruth. Das ist wirklich nicht der Moment dafür. Wir wissen beide, wie er war. Aber was ich sagen wollte, ist, dass eine Frau, selbst wenn sie abgeschoben wurde, dass so eine Frau selten... aus Rache... Du weißt, was ich meine. Wer also...? Es sei denn, es war diesmal eine verheiratete Frau, und der Ehemann ist dahinter gekommen...? Obwohl Guy ja solche Frauen im Allgemeinen gemieden hat.« Margaret spielte mit einer der drei schweren Goldketten, die sie um den Hals trug. Sie hatte einen Anhänger, eine übermäßig große, unförmige Perle, die wie ein Klümpchen erstarrtes Kartoffelpüree zwischen ihren Brüsten lag.
»Er hatte keine -« Ruth verstand nicht, warum es so schmerzte, es zu sagen. Sie hatte ihren Bruder gekannt und hatte gewusst, wer er war - ein Mensch mit unendlich vielen guten Seiten und nur einer Seite, die finster war, unheilvoll, gefährlich. »Er hatte keine Affäre. Niemand ist abgeschoben worden.«
»Aber hat die
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