120, rue de la Gare
ich mir für einen späteren Zeitpunkt auf. Als wir uns verabschiedeten, versprach ich dem Kriegsversehrten, ihm gegebenenfalls ein paar Aufträge zu verschaffen.
Gleich in der Nähe wurde in einem Kino mit ständigem Einlaß Tempête gegeben, mit Michèle Hogan. Ich ging hinein. Das würde mir guttun.
* * *
„Guten Abend, mein Lieber“, begrüßte ich Florimond Faroux, als er seinen Fuß in meine Wohnung setzte. „Ich weiß, daß es draußen kalt ist, daß wir den Krieg verloren und nicht genug Kohle zum Heizen haben. Um weiteren Fragen vorzubeugen und dem üblichen Geschwätz zu entgehen, erzähle ich Ihnen außerdem, daß ich in Sandbostel in Gefangenschaft war, wo ich eine Kartoffeldiät gemacht habe. War auch nicht schlimmer als in der Santé . Und so gesund! Übrigens, ich hoffe, Sie sind ebenfalls gesund. Geht’s Ihnen gut? Ja? Gut. Na, dann setzen Sie sich erst mal und trinken Sie ‘n Gläschen.“
Inspektor Faroux von der Kripo eilte mit großen Schritten auf die vierzig zu, und zwar schneller, als er jemals hinter einem Gangster herrannte. Er war ziemlich groß, kräftig, hager. Sein graumelierter Schnurrbart hatte ihm bei seinen jüngeren Kollegen den Spitznamen „Grand-père“ eingebracht. Zu jeder Jahreszeit trug er einen schokoladenbraunen Schlapphut, der so schräg auf seinem Kopf saß, daß man Angst bekommen konnte. Florimond hatte sich nie an meine Denkweise gewöhnen können. Das hielt ihn aber nicht davon ab, unsere Unterhaltungen an den unpassendsten Stellen mit kurzen Lachanfällen zu würzen. „Höfliche Reaktionen auf meine witzigen Einlagen“ nannte er das. Im übrigen aber war er ein prima Kerl, hilfsbereit bis väterlich. Großväterlich, wie seine Kollegen gesagt hätten.
Mein Freund hörte sich die Aufzählung der Gemeinplätze mißbilligend an, zuckte vielsagend mit den Achseln und setzte sich. Jetzt erst nahm er seinen Hut ab, legte ihn auf einen Stuhl und tauchte seinen Schnurrbart in das Glas Rotwein, das ich ihm hingestellt hatte.
„Und nun“, fuhr ich fort, nachdem ich mir meine Pfeife gestopft und angezündet hatte, „erzählen Sie mir mal, was Sie inzwischen für mich getan haben.“
Faroux hüstelte.
„Wenn man mit Ihnen zusammenarbeitet“, sagte er, „darf man sich über nichts wundern. Aber trotzdem... Ihre ehemalige Sekretärin...“
„Was ist mit meiner ehemaligen Sekretärin? Sie ist eine Frau wie jede andere. Muß Zusehen, wie sie sich durchs Leben schlägt.“
„O ja, natürlich... Aber trotzdem, sie zu überwachen, das war doch ‘n starkes Stück, fand ich.“
„Sie wollen doch hoffentlich nicht damit sagen, daß sie nichts unternommen haben?“
Einlenkend hob er die Hand.
„Ich habe so was Ähnliches wie ‘n Bericht verfaßt“, sagte er. „Ziemlich mager.“
Er griff in seine tiefe Manteltasche und zog zwei maschinengeschriebene Blätter raus. Ich las sie mit wachsendem Ärger.
Der „magere“ Bericht war sehr ausführlich und präzise. Hélène Chatelain wurde seit zwei Tagen beschattet. Ihr Verhalten war ganz normal und gab keinerlei Anlaß zur Kritik. Sie ging um halb neun morgens von zu Hause fort, begab sich direkt zur Presseagentur Lectout, aß mittags in einem Restaurant, ging um zwei zurück zur Arbeit, machte um sechs Feierabend und ging wieder nach Hause. Aus Faroux’ Bericht ging weiter hervor, daß sie abends nicht ausging, außer am Donnerstag, ihrem Kinotag. Den Samstagnachmittag, Samstagabend und den gesamten Sonntag verbrachte sie bei ihrer Mutter. Seit sie wieder in Paris war, hatte sie die Hauptstadt nicht mehr verlassen.
War das eine falsche Spur?
Man darf nichts außer acht lassen, wie mein Freund in Lyon, Kommissar Bernier, oberlehrerhaft zu sagen pflegte. Dabei ließ gerade er so vieles außer acht! Aber gemäß dieser Regel hatte ich Hélène Chatelain überwachen lassen.
Und ausgerechnet die Flics, denen nichts Verdächtiges entgeht, Flics, die von Berufs wegen und von Natur aus mißtrauisch sind, diese Flics teilten mir nun mit, daß das Verhalten meiner früheren Sekretärin über jeden Zweifel erhaben war! Wirklich entmutigend... Oder Hélène war gerissener, als ich angenommen hatte. Ich nahm mir vor, mich mit ihr zu treffen.
Faroux riß mich aus meinen Gedanken.
„Reicht das für den Anfang?“ fragte er. „Oder sollen wir sie weiter beschatten lassen?“
„Ja... auf beide Fragen.“
Ich zeigte meinem Freund das Foto des Mannes ohne Gedächtnis.
„Kennen Sie den zufällig?“ fragte ich
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