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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ihn.
    Florimond sah das Schild mit der Nummer auf der Brust des Kriegsgefangenen und mußte lachen.
    „Hattet ihr da auch einen Erkennungsdienst?“ fragte er.
    „Werd Ihnen bei Gelegenheit erzählen, was wir da sonst noch so alles hatten. Dann kommen Sie aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Jetzt sagen Sie mir aber erst: Was halten Sie von dem Gesicht?“
    Er gab mir das Foto zurück.
    „Gar nichts.“
    „Noch nie gesehen?“
    „Nein.“
    Ich reichte ihm das zweite erkennungsdienstliche Dokument.
    „Das sind Fingerabdrücke“, erklärte ich. „Können Sie bitte nachsehen, ob Sie die schon in Ihrer Sammlung haben?“
    „Ist das derselbe?“
    „Derselbe was?“
    „Derselbe Mann. Der auf dem Foto.“
    „Nein“, log ich. Muß wohl ‘ne krankhafte Neigung bei mir sein. „Dies hier ist jemand anders. Ein sehr ernster Fall. Ich brauche Ihre Antwort so schnell wie möglich.“
    Seufzend faltete er das Blatt mit den Fingerabdrücken und steckte es in seine Brieftasche.
    „Verdammt nochmal“, fluchte er. „Sie haben’s immer eilig! Ich tu mein möglichstes. Nur, im Moment haben wir alle Hände voll zu tun...“
    „Sie sollen den Kerl ja nicht selbst identifizieren“, unterbrach ich ihn. „Wenn Sie den Leuten vom Erkennungsdienst nicht verraten, von wem Sie die Fingerabdrücke haben, wär mir schon sehr geholfen... Was anderes...“
    Ich öffnete eine Schublade und brachte eine Parabellum zum Vorschein, so unschuldig wie ‘n Engelchen.
    „Für dieses Ding brauche ich einen Waffenschein. Die Kleine hat Angst. Fühlt sich nur in meiner Tasche so richtig sicher.“
    „In Ordnung.“
    „Und eine Sondergenehmigung, um nachts frei rumlaufen zu können, brauche ich auch.“
    „Ist das alles?“
    „Ja. Sie können gehen!“
    „Ich wollte Sie grade um Erlaubnis bitten“, erwiderte mein Freund ironisch und goß sich Wein nach. „Es ist schon spät.“
    Er leerte das Glas in einem Zug und wischte sich den Schnurrbart ab. Dann stand er auf, hielt aber plötzlich in der Bewegung inne.
    „Was ich Sie noch fragen wollte, Burma... Dieser Kommissar Bernier, von dem Sie am Telefon gesprochen haben, heißt der mit Vornamen Armand?“
    „Keine Ahnung. So intim waren wir nicht miteinander... Aber Armand paßt prima zu ihm.“
    Faroux gab mir eine Personenbeschreibung, die seinen beruflichen Fähigkeiten alle Ehre machte.
    „Genau der“, sagte ich nickend. „Außerdem hat er eine rosige bis violette Gesichtsfarbe, ist elegant gekleidet, wenn er seinen Regenmantel auszieht, und er ist ein ziemliches Rindvieh.“ Faroux lachte.
    „Einwandfrei Armand Bernier“, stellte er fest. „Ich kenne ihn von früher, als er noch in Paris war...“
    In der Hoffnung, mir noch ein paar Würmer aus der Nase zu ziehen, erzählte mein Freund eine gute Viertelstunde lang Geschichten über den Kommissar aus Lyon.

Der Mann ohne Gedächtnis wird identifiziert

    Meine Wanduhr schlug neun. Ich wartete noch etwa zehn Minuten, dann wählte ich die Nummer der Presseagentur Lectout. Auf meine Frage, ob Mademoiselle Chatelain im Hause sei, wurde mir geantwortet:
    „Nein, Monsieur. Mademoiselle Chatelain hat sich krankgemeldet. Sie wird in den nächsten Tagen nicht arbeiten. Grippe...“
    Ich zog meinen Mantel über, setzte meinen Hut auf und ging hinaus in den dunklen kalten Morgen. Ich fuhr so lange Metro, bis in Paris der Tag anbrach.
    Bevor ich an der Wohnungstür meiner früheren Sekretärin läutete, hielt ich mein Ohr ans Schlüsselloch. Dieses wenig elegante Verhalten wird man zwar vergeblich in Paul Robots Die Kunst des guten Benehmens suchen, aber es hat mir so manches Mal schon weitergeholfen. Allerdings muß ich dazu sagen, daß sich das Talent der meisten meiner Kollegen in dieser Dienstmädchen-Methode erschöpft. Heute morgen hatte ich leider keinen Erfolg damit. Also drückte ich auf den Klingelknopf.
    „Wer ist da?“ fragte eine heisere Stimme, worauf ein Nasehochziehen folgte.
    „Ich bin’s, Nestor Burma.“
    „Burma?“ rief die heisere Stimme. „Sie, Chef? Moment...!“
    Kurz darauf wurde die Tür geöffnet.
    In einen bis zum Kinn geschlossenen Morgenmantel gewickelt, die nackten Füße in nicht dazu passenden Pantoffeln, ungekämmt, ungeschminkt, so stand Hélène Chatelain vor mir und tupfte sich die rote Nase mit einem zusammengeknüllten Taschentuch. Sie war sehr viel weniger attraktiv als in Cannes, wo sie ihren wohlproportionierten Körper in der Sonne braten ließ. Aber mir stieg ihr verführerisches

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