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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Colomer hatte sich zu weit vorgewagt. Für ihn gab es nur noch eine Möglichkeit, mit heiler Haut davonzukommen: Verschwinden! Wenn nicht für immer, dann doch wenigstens für eine gewisse Zeit.“
    „Von wo aus hat mich Jalome eigentlich angerufen?“ fragte ich.
    „Nicht aus der Agentur Lafalaise, wie ich befürchtet hatte. Übrigens, unsere Nachforschungen haben ergeben, daß Ihr Kollege nichts mit der Sache zu tun hat.“
    „Das war mir schon vorher klar. Also, von wo aus hat mich Jalome angerufen?“
    „Aus einer Wohnung ganz in der Nähe der Detektei. Die Mieter sind nur für ein paar Tage weggefahren und haben ihr Telefon nicht abgemeldet. Sie wissen ja, daß man aus einer öffentlichen Telefonzelle nur anrufen kann, wenn man seinen Ausweis vorlegt. Das wollte Jalome nicht riskieren. Und als umsichtiger Mensch hat er die leere Wohnung als Telefonzelle benutzt, für heimliche Gespräche. Wir haben Spuren von Gewaltanwendung am Türschloß festgestellt. Der Kerl war ein Meister seines Fachs.“
    Ich ließ den Kommissar eine Weile meine Bewunderung genießen. Abschließend fragte ich:
    „Dann ist also alles klar?“
    „Ja, ja... Alles klar.“
    Jetzt genoß er seine eigene Bewunderung. Er hatte sich wirklich redlich abgemüht.
    „Und der Gerechtigkeit ist Genüge getan, wie man so sagt?“ Er pfiff verschmitzt durch die Zähne.
    „Was Paul Carhaix-Jalome angeht, ja. Aber jetzt fahnden wir nach Villebrun. Seit uns klar ist, daß er hinter dem Mord an Colomer und dem Überfall auf Sie steckt, verhören wir seinen Ex-Komplizen, den Taschendieb. Der hat ohne weiteres in Jalome einen seiner alten Freunde wiedererkannt. Ansonsten ist er stumm wie ein Fisch. Wiederholt nur immer wieder, daß er von seinem früheren Chef nichts gesehen und gehört habe.“ Bernier sah auf seine Uhr und stieß ein unangenehm fettes Lachen aus. „Es ist noch früh am Abend. Die Nacht wird’s bringen. Vielleicht entschließt er sich morgen früh zum Reden... Noch etwas Kaffee?“
    „Ja. Und wenn’s Ihnen nichts ausmacht, ein ganzes Stückchen Zucker.“
    Bereitwillig goß der Kommissar nach, wobei er einen Schlager falsch vor sich hinpfiff. Er bot das tröstliche Schauspiel eines glücklichen, zufriedenen Mannes. Um nichts in der Welt hätte ich seine Euphorie getrübt.

    * * *

    Zum Schlafen ging ich wieder zurück ins Hospital. Berniers Kaffeersatz geisterte durch meine unruhigen Träume.
    Der Kommissar hatte es sich nicht nehmen lassen, mich ins Hospital zu begleiten. Obwohl er bei mir gewesen war, hatte der Portier etwas von einem „komischen Kranken“ gebrummt.
    Ich machte mich gerade daran, diesen Ruf durch sofortiges Verschwinden noch weiter zu untermauern, als meine Krankenschwester hereinkam und mir sagte, man wolle mich dringend im Büro sprechen.
    „Nicht um Ihnen eine Standpauke zu halten“, fügte sie hinzu, als sie sah, daß ich zögerte.
    Da diese Frau zu keiner Lüge fähig war, wagte ich mich ins Büro. Irgendein unterer Dienstgrad erwartete mich. Entgegen aller Hygienevorschriften kaute er an seinem Federhalter.
    „Sind gesund, was?“ fragte er.
    »Ja*
    „Aus Paris?“
    „Ja.“
    „Packen Sie Ihre Koffer. Sie fahren noch heute abend zurück. Ein Sonderzug mit Heimkehrern kommt durch Lyon. Den nehmen Sie. Hier Ihre Entlassungspapiere und zweihundert Francs.“
    „Also... dann...“ stammelte ich.
    „Was denn? Erzählen Sie mir bloß nicht, daß Ihnen dieser Bau hier gefällt! Sie sind doch nur insgesamt zwei Stunden hier gesehen worden...“
    Ich erklärte ihm, mir gefalle weniger das Hospital als die Stadt. Ob man meine Heimreise nicht hinauszögern könne? Ich hätte noch ‘ne Menge hier zu tun. Bissig gab er zurück, seine Aufgabe sei es nicht, Liebschaften zu unterstützen, wenn ich in Lyon bleiben wolle, hätte ich mich früher darum kümmern müssen, man habe ja nicht wissen können, wie’s mir am besten gefiele, außerdem könne man nicht mir zuliebe den ganzen Bürokram rückgängig machen, wenn mir Lyon so sehr gefalle, könne ich in Paris ja sofort einen Passierschein beantragen und zurückkommen.
    „Ihr Zug geht um 22 Uhr“, beendete er die Diskussion.
    Deutlicher konnte er mir nicht klarmachen, daß die Entscheidung unwiderruflich und jeder Protest zwecklos war. Ich ging zum nächsten Postamt, entschlossen, meine Beziehungen spielen zu lassen.
    Gerade aber hatte ich meinen Ausweis vorgelegt und eine Telefonverbindung mit Kommissar Bernier verlangt, als ich alles wieder rückgängig

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