1204 - Der Häuter
und wir wollen auch wissen, wo er sich in den letzten sechs Jahren aufgehalten hat.«
Sie lachte uns an. »Und da kommen Sie zu mir?«
»Irgendwo müssen wir anfangen. Ihr Mann ist schließlich ein Verwandter des Häuters.«
Mona Navis schüttelte sich, als hätten wir sie mit Wasser bespritzt. »Das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich lasse meinen Mann nicht von Ihnen fertig machen…«
»Das tut keiner«, sagte Suko. »Aber irgendwo muss sich der Häuter in den letzten Jahren aufgehalten haben.«
»Wie soll ich das wissen? Ich bin drei Jahre mit Clive verhe iratet, und ich schwöre Ihnen, dass ich den Häuter kein einziges Mal gesehen habe.«
»Wir machen Ihnen auch keinen Vorwurf. Wir müssen nur irgendwo ansetzen. Ihr Mann ist…«, Suko unterbrach sich, weil wir alle das Räuspern gehört hatten.
In der offenen Tür zum Büro stand ein kräftiger Mann in staubgrauer Arbeitskleidung. Er drehte eine Schirmmütze zwischen den Händen und nickte in unsere Richtung. »Ich wollte nur sagen, dass ich jetzt Feierabend mache, Chefin.«
»Ist gut, Gerald. Ist der Stein fertig?«
»Ja, ich habe ihn entsprechend gekürzt.«
»Sehr gut. Dann bis morgen.«
Er nickte, schaute uns an, wobei ich glaubte, einen verschwörerischen Ausdruck in seinen Augen gesehen zu haben. Sehr langsam und gebückt ging er davon. Auf der Türschwelle setzte er seine Mütze wieder auf.
»Gerald weiß auch nichts«, erklärte Mrs. Navis. »Er arbeitet erst seit einem Jahr bei uns.«
»Damit hatten wir auch nicht gerechnet«, erklärte ich.
Sie lächelte wissend. »Ihnen geht es um meinen Mann, nicht?«
Ich nickte.
»Sie werden sehen, dass Sie auf der falschen Spur sind, Mr. Sinclair. Die schreckliche Sache mit diesem Killer ist für uns erledigt. Sie war traumatisch genug, das können Sie mir glauben.«
»Dagegen sagt auch niemand etwas. Nur sind inzwischen wieder zwei Menschen auf die gleiche Art und Weise ums Leben gekommen, und wir wollen nicht, dass es noch mehr werden. Damit müssen Sie natürlich rechnen.«
»Das kann ich alles verstehen. Es ist auch schrecklich genug. Ich kenne die blutige Geschichte nur vom Hörensagen, aber ich versichere Ihnen, dass mir der Häuter bisher nicht vor die Augen gekommen ist. Ich würde Ihnen das sagen. Außerdem wäre ich dabei verrückt geworden.« Sie verstummte und erhob sich halb von ihrem Stuhl, weil sie an uns vorbei auf die Eingangstür schauen wollte.
Sie wurde in diesem Moment aufgedrückt. Wir hörten Stimmen, und ein Mann sagte: »Dann freue ich mich darauf, dass Sie morgen wiederkommen. Sie werden sehen, bei einem besseren Licht werden wir schnell fündig werden.«
Das Paar verabschiedete sich, und jemand betrat mit schweren Schritten den Raum.
Wir hatten uns auf unseren Stühlen gedreht, und wir hörten die Stimme von Mona Navis.
»Die Gentlemen sind von der Polizei, Clive…«
***
Das hätten wir ihm auch selbst sagen können, doch jetzt war es passiert, und wir schauten den Mann an, der mit einer langsamen Bewegung die Tür hinter sich schloss.
Ich war etwas voreingenommen und suchte sofort nach Ähnlichkeiten mit seinem Onkel. Die waren nicht vorhanden.
Clive Navis war erstens jünger, hatte zweitens kein blasses Totenschädel-Gesicht, sondern dunkle Haare, die sehr dicht auf seinem Kopf wuchsen, wobei sich über der Oberlippe ein ebenfalls dunkler Bartstreifen abmalte. Die Farbe wiederholte sich in den Augen, die uns musterten, als wir aufstanden.
Wir nannten unsere Namen und sahen das leichte Lächeln auf den Lippen des Mannes.
»Ich habe mir gedacht, dass Sie zu mir kommen würden. Es wundert mich nur, dass Sie nicht schon früher hier erschienen sind, obwohl ich nichts mit der neuen Tat zu tun habe und mein Onkel ebenfalls nicht, denn der sitzt schließlich ein.«
»Denken Sie«, sagte ich.
»Sie nicht?«
»Nein, Mr. Navis. Das ist nicht Ihr Onkel, der in der Zelle sitzt. Es ist eine andere Person. Ihr Onkel hat die Psychiatrie gar nicht erst erreicht.«
Er schwieg.
»Der erste Mord ist bereits geschehen«, sagte Suko.
»Ich habe davon gehört. Ich dachte an einen Nachahmungstäter. So etwas soll es ja geben.«
»Nein, der Täter ist der richtige Killer, der echte. Und ich bin ebenfalls wieder hier. Wie vor sechs Jahren…«
»Moment, da hatte ich das Geschäft hier noch nicht. Ich lasse mich für nichts verantwortlich machen.«
»Hatten wir auch nicht vor, Mr. Navis. Irgendwo mussten wir schließlich beginnen. Sie haben das Geschäft hier also übernommen.
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