1205 - Wer die Totenruhe stört
nichts unternehmen, weil wir kein Ziel sahen. Wir wussten nur, dass er in der Nähe war und sich möglicherweise in einer der Spalten versteckt hielt.
Es war wieder still geworden. Auch aus den Häusern hörten wir keine Stimmen. Die Menschen mussten sich dort buchstäblich verkrochen haben, wobei die Angst vor dem Kommenden ihre Kehlen zugeschnürt haben musste.
»Keiner weiß wie er aussieht«, flüsterte Craig Averell. »Niemand ist informiert - oder?«
Auch Suko und ich konnten nur die Köpfe schütteln.
»Habt ihr denn keine Ahnung? Keine Vorstellung? Wenn ihr schon auf eure Erfahrung baut, dann…«
»Tut uns Leid, die haben wir nicht«, sagte Suko.
»Aber er wird kommen«, fügte ich hinzu. »Und ich nehme an, dass wir nicht sehr lange warten müssen.«
Ob zwei oder fünf Minuten seit dem letzten Angriff verga ngen waren, wussten wir nicht. Die Zeit war so relativ geworden. Ich kam mir vor wie jemand, der sich in einem Vakuum bewegt und darauf wartet, dass es gefüllt wird.
Es begann mit dem Rauch. Wir konnten ihn einfach nicht übersehen, denn er drang vor unseren Füßen aus den Spalten.
Besonders aus der breiten, die sich schräg von einer Seite zur anderen der Straße hinzug. Dort quoll der dunkle Nebel hervor, als wollte er etwas Bestimmtes ankündigen. Wir sahen auch eine Bewegung am Rand und innerhalb des Nebels. Allerdings flatterte sie etwas auseinander, sodass sie aussah, als würde sie sich auflösen.
Im nächsten Augenblick erschien der Körper. Er war im Innern der Spalte versteckt gewesen. Jetzt wurde er von einer mächtigen Kraft in die Höhe geschleudert, und wir sahen, wie eine Puppe durch die Luft segelte und dicht vor unseren Füßen zu Boden prallte.
»Nein«, flüsterte Craig Averell, »das darf nicht wahr sein. Das ist… ist… unmenschlich…«
Wir brauchten keinen Kommentar abzugeben. Was dort wie eine Puppe aus dem Spalt geschleudert worden war, war leider ein Mensch. Wir kannten die Frau.
Vor unseren Füßen lag die tote Elsa Groof!
***
Unser Schweigen sprach Bände. Wir waren geschockt. Okay, wir hatten etwas erwartet, aber dieser alten Frau ein Leid anzutun, war einfach furchtbar. Beim näheren Hinschauen stellten wir fest, dass sie vor ihrem Tod gelitten haben musste, denn ihr Gesicht zeigte Hautabschürfungen, die Arme standen verdreht vom Körper ab, und auch das Gesicht war mit blutigen Flecken gesprenkelt.
Suko leuchtete sie mit der kleinen Lampe an. »Einfach ausgespien«, sagte er. »Verdammt, John, es wird Zeit, dass wir ihn zu Gesicht bekommen.«
Das wollte ich schon die ganze Zeit über und trat deshalb so nahe an die große Spalte heran, wie es nur möglich war. Ich warf zuerst einen Blick in die Tiefe, der nichts einbrachte, denn durch den dunklen Rauch war meine Sicht vernebelt.
Aber ich nahm trotzdem meine Lampe und leuchtete in den Nebel hinein.
Wieder kam es mir so vor, als wäre in der Tiefe des Risses jemand dabei, sich zu bewegen. Eine Gestalt, die von einer Seite zur anderen ging und sich nicht darum kümmerte, dass es irgendwelche natürlichen Hindernisse für sie gab.
Ich legte eine Hand um mein Kreuz und merkte seine Wärme, die sich auch auf meiner Hand ausbreitete. Es spürte das Böse, aber es kam nicht dagegen an.
Ich zog mich wieder zurück. Als ich Sukos fragenden Blick sah, hob ich nur die Schultern.
»Aber er ist da - oder?«
»Natürlich.«
»Warum erscheint er dann nicht?«
»Keine Ahnung.«
»Dein Kreuz?«
»Das glaube ich nicht. Er wird sich vor nichts fürchten. Er wird sich auf seine eigene Stärke verlassen. Für ihn sind die Menschen nur Spielbälle. Das ist schon in früheren Zeiten so gewesen. Eine Kreatur der Finsternis hat es gelernt zu überleben.«
»Du glaubst wirklich daran?«
»Ich nehme es an.«
Die Umgebung hatte sich wieder normalisiert. Es gab keinen weiteren Angriff mehr. Nur die alte Elsa Groof lag in unserer Nähe auf dem Boden. Ihre leeren Augen starrten in die Höhe, als wollten sie hinter die Wolken schauen.
Die Bewohner blieben in den Häusern. Ob sie mitbekommen hatten, was hier passiert war, wussten wir nicht. Aber der Dämon hatte zumindest einen Anfang gemacht. Ich befürchtete, dass weitere Tote folgen würden.
So gut es möglich war, bewegte ich mich mit langsamen Schritten über die Straße. Ich sah auf die erleuchteten Fenster.
Hin und wieder entdeckte ich ein Gesicht und sah auch den ängstlichen Ausdruck darin. Ich fühlte mit den Menschen. Ich konnte mir denken, was in ihnen
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