1212 - Niemand hört die Schreie
Florman. Und Sie werden mich auch nicht los.«
»Hören Sie auf damit!«
»Wenn nicht Sie, werde ich es für Sie übernehmen. Sie brauchen keine Angst zu haben, ich…«
»Nein!«, schrie sie. »Tun Sie das nicht. Tun Sie sich das nicht an!«
»Sie können…«
»Gehen Sie endlich!«
Ja, sie war nervös geworden. Ihr Gesicht verriet dies sehr deutlich. Das Flackern im Blick. Das Zucken der Lippen. Sie wollte, dass ich verschwand, und ich konnte mir vorstellen, dass sie um ihr Geheimnis fürchtete.
Ich stellte ihr auch keine weitere Frage mehr, weil es einfach keinen Sinn hatte. Aber ich ging auf den Sarg zu und kümmerte mich nicht um den schwachen Protest.
Hier hatte sich einiges verändert. Die Atmosphäre wirkte wie aufgeladen, und ich konzentrierte mich sehr auf mein Kreuz.
Ich wartete darauf, dass es mich warnte, aber das passierte nicht.
Es beruhigte mich trotzdem nicht. Als ich den Sarg erreicht hatte und neben ihm stehen blieb, warf ich einen Blick zurück ins Wohnzimmer. Dort rührte sich Betty Florman nicht vom Fleck. Sie stand da und blickte mich aus unbewegten Augen an. Nur ihre Hände bewegten sich. Ich erlebte sie gestreckt und auch als Fäuste, aber das war alles.
Die Person aus dem Sarg meldete sich nicht mehr. Ich wusste, dass es eine Frau war, und ich kannte auch ihren Namen. Sie hieß Louise Baker.
Um sie zu locken, klopfte ich einige Male mit dem Knöchel des rechten Zeigefingers auf den Deckel. Zwar hörte ich das dumpfe Pochen, mehr jedoch nicht.
Mir blieb nichts anderes übrig, als den Deckel anzuheben.
Kompliziert war es nicht. Die Person lag auch nicht in einem normalen Sarg. Das hier war ein Ding aus Kunststoff. Oberund Unterteil waren durch Schnappverschlüsse miteinander verbunden, ähnlich wie die Verriegelung bei einem Flugkoffer.
Ich bückte mich, setzte zwei Mal an, dann war die Sache erledigt. Die Verschlüsse hatten sich gelöst, und jetzt brauchte ich nur noch den Deckel anzuheben.
Das war eine Sache von Sekunden. Es klappte wunderbar.
Der leichte Deckel rutschte mir beinahe wie von selbst in die Hände, und ich hielt ihn noch fest, als ich zurücktrat.
Im Sarg lag eine Frau mit pechschwarzen Haaren!
***
Der erste Anblick erinnerte mich an die Märchengestalt Schneewittchen. Zumindest was das dunkle lockige Haar anging, das ein Gesicht mit sehr heller oder auch bleicher Haut umrahmte, wobei das von der Decke her in den Sarg fallende Licht schon für einen ungesunden gelblichen Schimmer sorgte.
Louise Baker war eine junge Frau, die ich nicht auf 30 Jahre schätzte. Ihre Augen waren halb geschlossen, aber ich hörte nicht, dass sie atmete. Sie trug auch kein Kleid, sondern einen hellen und eng anliegenden Jogginganzug, dessen Beine so eng anlagen wie Leggins. Die Arme waren an den Seiten ausgestreckt und an den Körper gepresst. Allerdings konnte man die Haltung nicht als locker ansehen, denn die Person hatte die Hände zu Fäusten geballt.
Was war sie?
War sie tot? War sie scheintot? Hatte man sie unter Drogen gesetzt? Oder hatte sie selbst Drogen eingenommen, um diesen Zustand zu erreichen?
Das alles waren Fragen, die mir automatisch in den Sinn kamen.
Allerdings gab es noch eine andere Möglichkeit, mit der ich oft genug konfrontiert worden war. Es gab Geschöpfe, die Särge sehr liebten, und sie hörten auf den Begriff Vampire.
Ja, es konnte sich durchaus um eine Blutsaugerin handeln, um ein Wesen, das nicht tot, sondern untot war, wer immer diesen Begriff auch geprägt hatte. Er stimmte irgendwo, und ich hatte ihn auch übernommen.
Noch hatte mein Kreuz keine Wärme abgegeben, was mich allerdings nicht beruhigte. Nur kam ich mir etwas deplatziert mit dem Sargoberteil vor, das ich noch immer fest hielt. Ich kantete es herum und stellte es mit der schmalen Seite so zu Boden, dass es an der Wand gelehnt stehen blieb.
Hinter mir hörte ich Schritte. Ich drehte den Kopf und sah Betty Florman in der Öffnung zum Wohnzimmer stehen. Sie schaute mich mit einem schon bösen Blick an und schien auf meine Frage zu warten.
Ich nickte nur.
»Sind Sie jetzt zufrieden, Mr. Sinclair?«
»Nein, nur halb. Wer ist sie?«
»Das habe ich Ihnen doch gesagt. Sie heißt Louise Baker.«
»Sicher. Ich habe es auch nicht vergessen, aber der Name reicht nicht. Ich möchte wissen, was mit ihr ist. Was, bitte, steckt alles dahinter?«
»Sie liegt im Sarg. Ja, ich habe mich geirrt. Sie wird froh sein, dass Sie den Deckel geöffnet haben.«
»Meinen Sie denn, dass mir das als
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