1215 - Der Ruf des Stahlherrn
sie offenbar, denn etwas schnitt ihm durch den Overall und selbst durch die Stiefelschäfte tief ins Fleisch.
Das derbe Gesicht näherte sich ihm wieder, daß die Hornspitze fast seine Nase berührte.
„Eine Audienz beim Stahlherrn wünscht der hochwohlgeborene Statusbürger?" höhnte der Fremde. „Aber klar, das läßt sich machen. Zuerst bestehe ich jedoch auf einem Gegenbesuch beim Ältesten der Geriokraten."
Die Häscher stimmten ein Gejohle an. Atlan wurde an den Fesseln aufgehoben, daß er meinte, sie würden ihn in Scheiben schneiden. Man stemmte ihn hoch, und von vielen Armen und verschiedenartigen Extremitäten getragen, wurde er im Triumph abtransportiert. Aus den Augenwinkeln sah er, daß es Wöleböl und Chulch ebenso erging.
Atlan fragte sich, ob diese Bande brutaler Gesellen wirklich im Dienst des Stahlherrn Lethos-Terakdschan standen. Ganz sicher aber konnte es Lethos' Wille nicht sein, daß Besucher aus dem Zentrum Starsens so barbarisch empfangen wurden.
3.
Man hatte sie in ein Kellergewölbe gebracht und in ein finsteres Loch geworfen. Zuerst Wöleböl, dann Chulch und zuletzt Atlan. Wöleböl stöhnte unter Chulchs Gewicht, und es dauerte geraume Zeit, bis sich der Meykatender davon befreit hatte. Das war wegen der Körperfesseln gar nicht so leicht. Chulch wiederum beschwerte sich darüber, daß man seine Satteltaschen geplündert hatte.
Atlan lag neben der Klappe, durch die man sie gestoßen hatte. Durch einen schmalen Spalt fiel ein Lichtstreif, in dessen Schein er erkennen konnte, daß ihre Fesseln, zweifingerbreite Stahlbänder, an den Enden zusammengenietet waren. Wenn er den Kopf etwas hob, konnte er durch den Spalt nach draußen blicken und die Silhouette eines Wachtpostens erkennen. Einmal glaubte er einen Stahlsöldner zu erkennen, der schnüffelnd näher kam.
„Lethos!" rief Atlan aus Leibeskräften, in der Hoffnung, auf diese Weise über den hundegroßen, ameisenhaften Roboter mit dem Stahlherrn in Verbindung treten zu können. „Lethos-Terakdschan! Hier ist Atlan!"
Aber der Wachtposten verscheuchte den Stahlsöldner mit einem Fußtritt.
„Einen schönen Freund hast du", klagte Chulch. „Wenn man im Hochland das unter Freundschaft versteht, dann bin ich froh, nicht dort leben zu müssen."
„Es muß sich um ein Mißverständnis handeln", sagte Atlan. „Aber es wird sich bestimmt bald aufklären."
„Hoffentlich klärt es sich auf, bevor man uns zu Stahlsöldnern macht", meinte Wöleböl.
„Wie kommst du auf diese Idee?" wunderte sich Atlan.
„Es ist bekannt, daß keiner zurückkehrt, der in die Peripherie geht", sagte Wöleböl. „Ol No Ogons Treumänner haben gesagt, daß der Stahlherr alle Überläufer in Stahlsöldner verwandelt. Daran wird was Wahres sein, denn irgendwoher müssen die vielen Stahlsöldner ja kommen."
„Das ist ein dummes Gerücht, mit dem man euch Angst zu machen versucht", sagte Atlan überzeugt. „Auf diese Weise will man die Status-Eins-Bürger daran hindern, daß sie zur Gegenseite abspringen."
„Ich habe immer geglaubt, es würde leichter sein, hier Treumänner anzuwerben", sagte Chulch. „Es ist meine Schuld, daß ich euch in diese Lage gebracht habe. Aber mit einem solchen Empfang habe ich nicht gerechnet."
„Das Mißverständnis wird sich aufklären", behauptete Atlan. Aber innerlich war er gar nicht mehr so überzeugt davon. Er hatte geglaubt, daß Lethos als Stahlherr die Peripherie von Starsen fest in der Hand hatte. Doch nach ihrer Gefangennahme kam er allmählich zu der Überzeugung, daß in der Peripherie Willkür und Terror den Ton angaben.
Natürlich glaubte er das Märchen von der Verwandlung in Stahlsöldner nicht. Aber er begann sich doch besorgt zu fragen, was aus den Fratres, Triaden und den Status-Bürgern geschehen war, die als Spione in die Peripherie geschickt wurden. Warum kam kein einziger von ihnen zurück?
War es gelungen, sie alle zu bekehren und dazu zu bringen, daß sie dem Statussystem abschworen?
Wohl kaum. Nach den Methoden zu schließen, die man bei ihnen angewandt hatte, schien es wahrscheinlicher, daß mit ihnen kurzer Prozeß gemacht wurde.
„Wir sind doch nur Einser, wie die Anhänger des Stahlherrn selbst", jammerte Wöleböl. „Warum behandelt man uns dann wie Verbrecher?"
„Vielleicht will man uns nur prüfen", vermutete Chulch hoffnungsvoll. „Man kann uns natürlich nicht auf Anhieb ansehen, daß wir keine Spione sind. Aber man wird uns Gelegenheit zur Verteidigung geben,
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