1216 - Kreislauf des Bösen
unterschwellig zu lesen. Der Blutsauger war stark genug, um alles zu bekommen, was er haben wollte. In meinem Fall war es eine Blutsaugerin, die ich keinesfalls schwächer einschätzte als ihre männlichen Gege nstücke.
Auf unserem Weg zu einem mir unbekannten Ziel wurden wir nicht aus den Augen gelassen. Hin und wieder tauchten die Gestalten anderer Untoter auf. Sie konnten sich einfach nicht zurückhalten, denn ich war ein Mensch, und sie rochen mein Blut. Aber sie trauten sich nie näher heran, denn Justine Cavallo war für sie so etwas wie eine Respektsperson.
Dracula II ließ sich nicht blicken. Ich ging davon aus, dass er sich nicht völlig zurückgezogen hatte. Er war jemand, der den richtigen Zeitpunkt abwartete und plötzlich da war.
Selbst die dunklen Felsen schienen den Blutgeruch auszuströmen. Er war einfach überall. Ich schmeckte ihn auf der Zunge, er klebte in meiner Nase ebenso fest wie in meinem Hals. Nicht dass ich gefühllos geworden wäre, aber ich war jemand, der es schon schaffte, sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Das war keine Selbstaufgabe, sondern ein Hinnehmen der Realität, denn eine Möglichkeit zur Flucht sah ich nicht.
Der Gedanke brachte mich dazu, wieder an den Spiegel zu denken, den ich bei meinem Eintritt in die Vampirwelt gesehen hatte. Er war von van Akkeren besetzt gewesen, und im Stillen rechnete ich noch immer damit, dass er mir über den Weg lief.
Hin und wieder warf mir Justine einen Blick zu. Sie lächelte dabei. Ihr Lächeln konnte alles Mögliche bedeuten, am Ende jedoch würde mein Tod stehen und zugleich das Hineingleiten in ein Leben, das keines mehr war, sondern nur noch eine Existenz, angetrieben von der Gier nach dem Blut der Menschen.
Diese Gedanken kamen immer wieder in mir hoch. Jedesmal merkte ich, dass mir dabei Schweiß ausbrach und ich Mühe hatte, ein Zittern zu unterdrücken. Justine sollte von meinem Zustand nichts mitbekommen, aber sie tat auch nichts, um mich abzulenken, denn sie sprach kein Wort.
Die Umgebung war gleich geblieben und hatte sich trotzdem verändert. Es gab keine dieser kleinen Hütten mehr. Dafür rückte eine Felswand näher, die sehr hoch in den dunklen Himmel ragte und aussah wie ein düsterer Turm.
Justine hatte meinen Blick bemerkt. Sie klärte mich auf und drückte sich dabei noch enger gegen mich, damit ich ihre feste Brust spürte. »Wir sind gleich da, John…«
»Wie schön. Und wo sind wir dann?«
»Bei mir.«
»Du lebst in diesem Felsen?«
»Ja. Und es wird dir dort bestimmt gefallen. Es ist alles so anders. Du kannst es mit dieser Welt hier draußen auf keinen Fall vergleichen.«
Ich war gespannt, hielt meine Neugierde allerdings zurück und sagte nichts mehr.
Die wenigen Meter legten wir schnell zurück, und ich sah, dass wir den Felsen so einfach nicht betreten konnten. Es gab zwar einen Eingang, wie auch an anderen Stellen, nur war dieser nicht offen, denn eine alte Tür verschloss ihn.
Justine ließ mich los, ging auf die Tür zu und zog sie auf, während ich wartete.
»Bitte, John, du kannst eintreten…«
Ich ging langsam näher. Es sah so harmlos aus, aber ich fühlte mich alles andere als wohl. In mir kroch der Verdacht hoch, mein eigenes Grab zu betreten. Ich war sogar sicher. Wenn ich dieses Heim der Blutsaugerin verließ, dann nicht mehr als normaler Mensch. Abschied von der Außenwelt wollte ich nicht nehmen, es lohnte sich nicht, und so ging ich auf den Eingang zu und schaute in den dahinter liegenden Raum.
Im Gegensatz zu dem, was ich bisher in der Vampirwelt erlebt hatte, wurde mir hier das krasse Gegenteil präsentiert. Es gab Licht, aber es war eine andere Helligkeit.
An verschiedenen Stellen hatte Justine Kerzen verteilt. Jede Kerze wurde samt ihrer Flamme von einem hellen Glasbehälter umgeben, um sie zu schützen.
Das Licht verteilte sich in einem recht großen Felsenraum, in dem es sogar eine Treppe mit fünf Stufen gab, die zu einer frei liegenden oberen Etage führte.
Es war eine Höhle und zugleich eine Wohnung. In den Opalminen Australiens war so etwas ebenfalls zu bewundern. Da lebten die Menschen dann nahe bei ihrer Arbeitsstelle und hatten sich die Wohnungshöhlen so eingerichtet wie zu Hause.
Sie brauchten nicht mal auf einen Kühlschrank und eine Dusche zu verzichten.
Beides sah ich hier nicht. Justine war es auf andere Teile der Anrichtung angekommen. Sie musste ein Fan von Kissen und Polstern sein, denn sie verteilten sich im Raum und schmückten die Liegen oder
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