1221 - Geschäft mit der Angst
als sie vor Brian Watson in die Knie ging, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein.
»Du siehst mich, Brian, nicht?«
»Ja, ja…«
»Du siehst auch, dass ich okay bin - oder?«
»Ja…«
»Und du bist auch okay!«
»Nein, nein!« Er brüllte sie an. »Ich bin nicht okay. Sie waren wieder da! Sie sind wieder bei mir gewesen. Ich habe sie gespürt. Es waren die Ratten. Sie haben mein Bett erobert. Sie krabbelten über mein Bett und auch über meinen Körper hinweg. Sie waren überall.« Er fuchtelte mit den Händen herum und schlug sie dann auf die Bettdecke. »Überall habe ich sie gesehen. Sie krochen aus den Wänden, aus der Decke und aus dem Boden hervor, und dann haben sie mich überfallen, als ich hier lag. Sie rissen mich aus dem Schlaf und machten mich fertig.«
»Ich sehe aber keine Ratten.«
»Doch!«, schrie Brian. »Doch, Lisa, sie waren da. Sie sind ja auch nur für mich gekommen und nicht für dich. Das musst du mir glauben, verdammt noch mal!«
»Ja, gut, ich glaube dir, Brian. Aber wir sollten trotzdem darüber reden.«
»Das tun wir doch.«
»Stimmt. Nur möchte ich es nicht hier tun. Lass uns in die Küche gehen. Ich habe Zeit genug. Ich habe immer Zeit für dich, wenn es dir schlecht geht. Das weißt du doch.«
Brian zog die Nase hoch. »Ja, das weiß ich, Lisa. Aber du kannst mir nicht helfen.«
»Bist du sicher?«
»Du kannst die Ratten nicht vertreiben!«
»Man muss sie aus deinem Kopf bekommen!«
Brian Watson starrte die junge Frau mit den glatten sehr schwarzen Haaren an. »Sie sind nicht nur in meinem Kopf, wenn du das meinst«, gab er jammervoll zu. »Sie haben mich verfolgt. Egal, wo ich mich verstecke, sie werden immer bei mir sein. Warum willst du mir das nicht glauben, Lisa…?«
»Es ist noch Tee da.« Sie wechselte bewusst das Thema.
»Zwar kalt, aber man kann ihn trinken. Er wird dir gut tun.«
Sie umfasste seine Handgelenke und zog ihn in die Höhe.
Brian war schwer. Er hatte Lisa nicht geholfen. Jetzt stand er vor dem Bett und schaute ins Leere, wobei seine Augen leicht verdreht waren. Der Fünfundzwanzigjährigen war klar, dass er nicht nach außen schaute, sondern nach innen. Vielleicht versuchte Brian auch, einen Blick in seine Seele zu werfen, denn sie musste das Haus der Angst in seinem Innern sein. Er war nicht in Ordnung, das wusste Lisa Farrango genau, aber sie hatte auch keine Ahnung, wie sie ihm helfen sollte. Es war alles so schwierig, und sie wusste auch nicht, wie er in diese seelische Schräglage hineingeraten war.
Zwar ahnte sie etwas, aber das war zu wenig, um den Dingen auf den Grund zu gehen.
Sie lebten zu viert in dieser Wohnung. Es gab eine Küche, ein Bad, ansonsten hatte jeder von ihnen ein Zimmer. London war ein verdammt teures Pflaster. Obwohl sie alle einem Job nachgingen, wurden sie nicht so gut bezahlt, als dass sich jeder eine eigene Wohnung in einer akzeptablen Umgebung hätten leisten können. Deshalb hatten sie sich für die Wohngemeinschaft entschieden.
Die beiden anderen Mieter waren in dieser Nacht nicht da. So konnte Lisa mit Brian allein reden.
Mitternacht war soeben vorbei. Der Tag war heiß gewesen.
Brian hatte auch kein Fenster geöffnet, um wenigstens etwas kühlere Luft einzulassen. So konnte man die Luft in seinem Zimmer schneiden, weil sie einfach so dick war.
Lisa forschte mit ihren Blicken in seinem Gesicht. »Geht es dir wieder besser?«, fragte sie.
»Weiß nicht.«
»Das wird schon wieder. Lass uns gehen. Ich öffne nur noch das Fenster. Die Luft ist ja nicht zum Aushalten.«
»Nein, nicht!« Es klang wie ein Aufschrei. »Bitte, du darfst das Fenster nicht öffnen, Lisa.«
Sie musste lachen. »Warum soll ich es nicht öffnen?«
Brian atmete schwer. »Dann haben sie freie Bahn, Lisa. Dann kommen sie. Dann überfallen sie mich. Sie… sie… sind nicht zu bremsen. Ich weiß das alles sehr genau…«
»Okay, wie du willst. Ich lasse das Fenster zu. Aber in der Küche sieht es anders aus, das kann ich dir versprechen.«
»Ist mir egal.«
»Gut, dann komm.«
Lisa ließ Brian vorgehen, der sich tatsächlich bewegte wie ein Mensch, der unter dem Druck der Angst litt. Er hatte den Kopf nach vorn gebeugt, schaute zu Boden und schaffte es kaum, beim Gehen die Füße anzuheben. Über seinen nackten Rücken rannen die Schweißtropfen in langen Bahnen, und manchmal schüttelte er sich, als wäre er mit kaltem Wasser bespritzt worden.
In allen Etagen gab es die breiten Flure. Das Haus stand schon über 100 Jahre, und von
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