1224 - Das Herz der Hexe
leicht das alles ging.
Mayri wehrte sich tatsächlich nicht. Der Angriff hatte sie einfach zu sehr überrascht. Sie stand irgendwie zwischen Tür und Bett, leicht in den Knien eingeknickt, und wollte nicht glauben, was mit ihr passierte. Sie wusste, wie man sich gegen Übergriffe wehren konnte, das hatte man ihr beigebracht, aber in diesem Moment der Überraschung hatte sie alles Gelernte vergessen.
Erst als ihr die Luft immer knapper wurde, kam ihr zu Bewusstsein, was tatsächlich ablief.
Sie will mich umbringen!
Der Gedanke daran mobilisierte Kräfte in ihr. Es schoss ihr durch den Kopf, was man ihr beigebracht hatte. Eigentlich waren alle Situationen durchgespielt worden, auch der Angriff von hinten und damit das große Würgen.
Sie riss ihre Arme hoch. Es war wichtig, einen Halt beim Gegner zu finden. Auf den Druck um ihren Hals herum achtete sie nicht mehr und auch nicht darauf, dass spitze Fingernägel in ihre Haut eindrangen und kleine Wunden hinterließen. Sie wollte die Haare der hinter ihr stehenden Person zu fassen bekommen. Zugleich trat sie noch aus, um die Schienbeine der Würgerin zu treffen.
Es klappte nicht.
Es war einfach zu schwer, alles synchron zu machen. In der Theorie hörte sich das gut an, auch bei einem Dummy im Training hatte sie es geschafft, doch jetzt sah es nicht gut aus.
Die andere Person war einfach zu stark, und sie hatte ihren Spaß.
Mayri hörte sie lachen. Es war nicht das Gelächter eines normalen Menschen, sondern das eines Irren. Wie eine Sinfonie des Schreckens drang es in ihre Ohren, fand den Weg durch den Kopf und sorgte dafür, dass die Angst noch größer wurde.
Mit ihren Bärenkräften zog Amy Madson das Opfer zurück.
Ihr war, als hätte sie einen erneuten Schub erhalten, und ihre Augen strahlten.
Sie zerrte die sich noch immer wehrende Pflegerin auf das Bett zu. Sie spürte das Blut der kleinen Wunden an ihren Fingerspitzen, und sie freute sich darüber.
So und nicht anders musste es sein. Durchziehen bis zum bitteren Ende.
Als Amy die Pflegerin losließ, gab sie ihr zugleich einen mächtigen Schwung nach links. Er war genau berechnet, und es gab auch nichts, was Mayri stoppte.
Sie prallte auf das Bett und blieb dort rücklings liegen, den Mund weit aufgerissen, nach Luft schnappend wie ein Verdurstender nach Wasser. Augen, die schon aus den Höhlen gequollen waren und in denen eine wahnsinnige Qual und die Angst vor dem Tod standen.
So musste das sein!
Amy war gnadenlos. In ihrem Kopf hörte sie die fremde Stimme, die ihr immer »Ja! Ja!« zuschrie, und Amy gehorchte blindlings. Sie dachte nicht daran, aufzuhören, sie machte weiter und legte abermals die Hände um die Kehle der Pflegerin.
Mayri hatte sich zu diesem Zeitpunkt etwas erholt. Sie sah schon wieder Land. Sie saugte die Luft ein, und ihr Blick war nicht mehr so verschwommen.
Da fiel der Schatten auf sie.
Mayri empfand ihn wie ein zur Wahrheit gewordener Albtraum, der Gestalt angenommen hatte. Es war Amy Madson, aber das konnte sie fast nicht mehr glauben.
Amy war wie von Sinnen. Sie hatte sich in ein Tier verwandelt.
Und wieder drückte sie den Hals der armen Frau zu.
Die fremde Stimme hallte durch ihren Kopf. Amy wusste nicht, ob sie lachte oder sie antrieb. Eines ging in das andere über, und es war einfach mörderisch.
Kurz nur flackerte der Widerstand der gequälten Pflegerin auf. Der allerdings erlahmte sehr bald, und Mayri sah noch einmal das Gesicht der Patientin vor sich.
Es spiegelte die pure Lust am Töten wider. Und diesen Eindruck nahm Mayri mit ins Jenseits. Sie erschlaffte, und Amy merkte es, aber sie ließ noch nicht los. Erst als sie sicher war, alles genau richtig gemacht zu haben, lösten sich die Hände von der Kehle, und sie richtete sich wieder auf.
Amy stierte nach unten. Ihr Mund war in die Breite gezogen und sollte ein Lächeln oder Grinsen darstellen. Zumindest einen Triumph, den sie hier empfunden hatte.
Sie war zufrieden, sehr zufrieden sogar, denn sie hatte es endlich geschafft und auch den letzten Graben übersprungen.
Durch ihre wilden Angriffe hatte sie die Haut an der Kehle zerfetzt, die auch noch unter ihren Fingernägeln klebte. Am Hals war Blut zu sehen, und genau das ließ Amy nicht in Ruhe.
Sie lachte auf. Sie klatschte in die Hände und hüpfte kniend auf dem Bett hin und her.
Das war der Durchbruch. Das war auch der Weg in die Freiheit und in ein neues Leben.
Wie lange sie auf dem Bett gesessen und in Gedanken versunken gewesen war, wusste
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