1224 - Das Herz der Hexe
wartete immer darauf, dass ihr Amy etwas erzählte, aber an diesem Abend schwieg die Rekonvaleszentin, was Mayri auch nicht gefiel und sie zu einem Kopfschütteln veranlasste.
»Sie sind so schweigsam, Amy. Haben Ihnen die vergangenen Stunden nicht so zugesagt?«
»Doch.«
»War das Essen nicht gut?«
»Mir hat es geschmeckt.«
»Aber?« Mayri schüttelte den Kopf. »Kommen Sie, meine Liebe, Sie können mir nichts erzählen. Ich spüre doch, dass Sie Probleme haben. Sie sind nicht so wie immer.«
Bring sie um! Würg sie! Hau sie in Stücke!
Da waren die Gedanken wieder. Wie Blitzeinschläge. Einfach widerlich und herrlich zugleich. Amy wunderte sich, dass sie es schaffte, sich zusammenzureißen und sich sogar ein völlig normal wirkendes Lächeln abzuringen.
»Es… es… kann auch am Wetter liegen. Das ist nichts für mich. Nichts für Menschen. Es ist so schwül. Es drückt auf meinen Kopf. Ich kann mich nur langsam bewegen und…«
»Das sollen Sie auch, Amy. Denken Sie an Ihr Herz. Es ist fremd, und es ist neu. Sie befinden sich noch immer in einer Gewöhnungsphase, das dürfen Sie nicht vergessen. Bei diesem Wetter muss man langsam sein, alles andere ist Gift.«
»Ja, schon…«
»Und morgen haben Sie wieder eine Untersuchung.« Mayri griff in die Kitteltasche. »Die Tabletten habe ich Ihnen mitgebracht.« Sie holte eine kleine helle Schachtel hervor, auf die der Name Amy Madson geschrieben war. »Nehmen Sie wie immer eine davon, legen Sie sich hin, versuchen Sie, Schlaf zu finden, und denken Sie daran, dass Sie morgen eine Untersuchung vor sich haben.«
»Werde ich dann entlassen?«
Mayri lachte. »Nein, Amy, so schnell geht das nicht. Da müssen erst noch einige Tests durchgeführt werden.« Mayri schaute Amy von oben bis unten an. »Aber wenn ich Sie mir so anschaue, dann muss ich sagen, dass Sie die Untersuchungen sicherlich bestehen werden. Ich glaube nicht, dass Sie große Probleme bekommen werden.«
»Das sagen Sie.«
»Ja.«
»Sie sind kein Arzt!«
»Nein, das bin ich nicht.« Die Pflegerin lachte. »Das brauche ich auch nicht zu sein, denn ich arbeite hier ja nicht erst seit gestern und habe meine Erfahrungen sammeln können. Die Dinge stehen für Sie nicht schlecht, Amy, wirklich nicht.«
Du lügst! Du bist eine verdammte Lügnerin!, hallte es wieder in die Gedanken der Frau hinein. Du willst mich nur beruhigen und mich von meinem Plan abbringen. Das schaffst du aber nicht.
»Ist das nicht eine gute Nachricht für die Nacht, Amy?«
»Das weiß ich nicht. Ich könnte mir eine bessere vorstellen.«
»Auch sie wird noch kommen.«
Amy Madson zuckte die Achseln. Dann senkte sie den Kopf.
»Ja, ich werde mich dann wohl hinlegen. Ob ich schlafen kann, weiß ich nicht. Aber wenn ich einfach nur ruhe, ist das auch schon etwas. Oder sehen Sie das anders?«
»Bestimmt nicht.« Mayri warf einen Blick in das Bett in der Ecke, dann schaute sie zur Tür. »Sie können sie ja offen lassen. Das ist sogar besser, denn in der Nacht soll es sich abkühlen.«
»Schön. Kommt auch Wind auf?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls wünsche ich Ihnen trotz allem eine ruhige Nacht mit einem sehr tiefen Schlaf.« Noch einmal lächelte sie strahlend. Wie jemand, der soeben eine besondere Freude erlebt hat. Und dieses Lächeln hatte schon viele Patienten in der Klinik aufgeheitert.
Nicht jedoch Amy.
Plötzlich spürte sie die Schläge des neuen Herzens besonders laut. Ihr schien es, als sollte ihr eine Botschaft übermittelt werden. So heftig hatte das Herz eigentlich nie zuvor geschlagen, und sie wusste plötzlich, was damit gemeint war.
Es war der Anfang. Es war die Botschaft. Es war das Drängen, das zu tun, was getan werden musste.
Die Pflegerin ahnte nichts. Wie immer drehte sie sich um und ging auf die Tür zu.
Dass Amy Madson ihr folgte, sah und hörte sie nicht. Mit den Gummisohlen bewegte sich die Frau wie ein Geist. Mayri bekam vielleicht noch einen scharfen Atemzug mit, der dicht hinter ihren Ohren aufklang, und möglicherweise wollte sie sich auch umdrehen, doch dazu war es zu spät.
Amy war zu einer mordlüsternen Furie geworden und umkrallte mit beiden Händen die Kehle der Pflegerin…
***
Endlich! Endlich hast du es geschafft! Es ist wunderbar! Du bist gut! Zieh es durch!
Da war die fremde Stimme wieder in ihrem Kopf, und Amy reagierte auch auf sie, denn sie nickte, ohne allerdings ihr Opfer loszulassen. Sie machte weiter, intensiver, und sie wunderte sich darüber, wie
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