1224 - Das Herz der Hexe
endeten. Dafür kicherte sie wie ein Teenager und presste schließlich die Hand vor den Mund, um das Kichern zu ersticken. Es ging ihr gut. Jetzt wieder. Der Gedanke, dass die Überraschungen noch nicht vorbei waren, trieb sie an.
Im Gegenteil - ihre Zeit kam erst noch!
***
Die E-Mail erreichte mich kurz nach der Mittagspause, die ich im Büro schlafend verbracht hatte, denn London erlebte einen verdammt heißen Tag. Ich hatte nicht nur geschlafen, sondern auch geträumt, und zwar vom letzten Fall an der Ostsee, der eigentlich zu einem Urlaub hätte werden sollen, sich aber dann zu einem hochdramatischen Spiel um Leben und Tod entwickelt hatte.
Suko war in die Kantine gegangen, aber auch dort war es nicht kühler. Er hatte Glenda mitgenommen, die sich einen kleinen Salat gönnen wollte, der dort angeblich frisch war und sich gut essen ließ.
Ich hatte lieber geschlafen und wachte recht erfrischt, aber verschwitzt auf, denn eine Klimaanlage besaß unser altes Büro nicht. Auch keinen Computer, der aber stand nebenan und wurde von unserer Assistentin Glenda bedient.
Ich nahm die Beine vom Schreibtisch, spürte meinen Rücken schon, weil ich nicht eben gesundheitsförderlich gelegen hatte und machte trotz der Hitze einige Streckübungen, um die alten Knochen wieder in die richtige Form zu bringen.
Die grelle Sonne hatte ich ausgesperrt. Vor dem Fenster hingen Jalousien, und sie waren fast zugezogen worden. Nur dünne Spalte blieben offen, durch die wenig Licht sickerte und im Zimmer ein Streifenmuster hinterließen.
Die Pause lief offiziell noch und ich überlegte, ob ich ebenfalls in die Kantine gehen sollte. Ein Schluck Wasser hätte mir jetzt gepasst, doch ich ließ es bleiben und ging erst mal nach nebenan in Glendas Büro. Es war zu riechen, wer hier residierte, denn der Duft ihres Parfüms hing noch wie ein unsichtbarer Schleier in der Luft. Es war ein frischer Geruch, der mich an Gras erinnerte und an Kräuter auf einer Wiese.
Bis mein Blick auf den Bildschirm fiel.
Und dort blinkte der elektronische Briefkasten.
Post!
Annehmen oder nicht? Viel Lust hatte ich nicht, aber mein Pflichtbewusstsein siegte, und so nahm ich vor dem Ding Platz und öffnete den Briefkasten.
Die Nachricht galt mir, uns, ganz wie man wollte, und plötzlich hatte ich meine Umgebung vergessen. Aus der Hitze war Kälte geworden, die meinen Rücken entlangkroch, denn was ich da zu lesen bekam, war keine fröhliche Botschaft.
Ich sprach die einzelnen Wörter leise vor mich hin, und der Schauer auf dem Rücken blieb.
»Baphomet zum Gruße, Sinclair. Wie du jetzt siehst, gibt es mich noch. Ich bereite vieles vor, um dann zuschlagen zu können. Wirst du jetzt nervös? Solltest du auch. Aber ich will dich nicht im Unklaren lassen. Ich gebe dir einen Tipp. Suche die herzlose Hexe…«
Das war alles. Kein weiterer Hinweis. Nicht, was mich auf die Spur hätte bringen können, bis auf eine sehr wichtige Kleinigkeit. Sie verriet mir den Absender des Briefes, der mit dem Namen Vincent van Akkeren unterschrieben war.
Ja, er also!
Der Grusel-Star, der aus der Hölle zurückgekehrt war und in Dracula II und Justine Cavallo neue Verbündete gefunden hatte. Einer, der sich zu meinem Gegner und Todfeind aufgebaut hatte und nun darangehen würde, seine Pläne in die Tat umzusetzen.
Für ihn waren die Templer wichtig. Das wusste ich. Er würde an sie heranwollen. Schließlich hatte er es geschafft, den Abbé Bloch durch einen Genickbruch zu töten. So war van Akkeren einen seiner größten Widersacher losgeworden.
Dass der neue Anführer der Templer, Godwin de Salier, ebenfalls nicht auf seiner Seite stand und die Getreuen so führen würde wie der Abbé Bloch, das machte ihm nichts aus.
Van Akkeren war der Machtfaktor auf der schwarzmagischen Seite. Er würde den Tod bringen und über Leichen gehen, denn Rücksicht kannte der Grusel-Star nicht.
Suche die herzlose Hexe! So lautete die Botschaft, mit der ich zunächst nichts anfangen konnte. Wie war das gemeint? Sollte ich eine Hexe suchen, die herzlos war, ohne Herz herumlief, oder war der Begriff herzlos im übertragenen Sinne gemeint, das heißt, dass sie sehr gefühlskalt und grausam ihrer Umwelt gegenüber war?
Ich wusste es nicht. Für mich stand nur fest, dass diese E-Mail kein Bluff war. Ich hatte mich sowieso schon gewundert, dass van Akkeren in der letzten Zeit nichts von sich hatte hören lassen, aber er war auch jemand, der seine Feinde im eigenen Saft schmoren lassen konnte, um
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