1229 - Das Vogelmädchen
andere Lampen einschalten? Es gibt noch einige. So kann mehr Licht auf den Rasen fallen.«
»Wäre nicht schlecht, Max. Inzwischen schaue ich mal nach deinem Schützling.«
»Gut.«
Ich kannte mich im Haus aus, ging durch den angenehm breiten Flur mit dem Holzboden und betrat auf leisen Sohlen die Küche, die mehr lang als breit war und deren Fenster der Tür direkt gegenüberlag. Die Scheibe sah ich kaum, denn sie wurde von Carlotta verdeckt, die vor dem Fenster stand, mir den Rücken zuwandte und von der Küche aus in den Garten schaute.
Ich räusperte mich kurz, als ich die Küche betrat, denn ich wollte das Mädchen nicht erschrecken. Dicht hinter ihm blieb ich stehen.
»Wolltest du nicht Wasser holen?«
»Ja,«
»Aber…«
Sie sprach, ohne sich umzudrehen. »Ich weiß auch nicht genau, was da passiert ist, John, aber ich habe das Gefühl, dass wir nicht mehr allein sind.«
»Aber nicht hier im Haus.«
Sie überlegte sich die Antwort. Während sie das tat, wurde es im Garten heller. Es gab einige Scheinwerfer am Rand des großen Rasenstücks, die ihr Licht abstrahlten, aber nicht als Bahnen über den Boden warfen, sondern es über sich verteilten und deshalb nur einen geringen Teil der Umgebung erhellten.
Der Rasen war leer. Es bewegte sich kein Fremder über den weichen grünen Teppich hinweg, und das Mädchen antwortete endlich auf meine letzte Frage.
»Nicht im Haus, John, auch nicht draußen. Da habe ich nichts gesehen. Aber ich habe so ein seltsames Gefühl, verstehst du?«
»Kann ich nachvollziehen. Weißt du auch, woher es stammt?«
»Nein, nicht so richtig. Es war da. Es brachte die innere Unruhe. Als hätte jemand Kontakt mit mir aufgenommen.«
»Wer denn?«
Ich hörte sie schwer atmen. »Er vielleicht?«, flüsterte sie dann.
»Du meinst den Monstervogel?«
»Genau den.«
Ich enthielt mich einer Antwort. Ich wollte nichts bestätigen und auch nichts abwiegeln und wartete auf eine Reaktion des Vogelmädchens. Es sagte noch nichts. Ich sah vor mir die Flügel mit den weichen Federn und konnte noch immer nicht fassen, dass es jemand geschafft hatte, ein solches Wesen zu produzieren. Das war einfach einmalig. Hinzu kam, dass dieser wunderbare Mensch nicht aggressiv oder gewalttätig war und sein Dasein einfach nur genießen wollte.
»Ich habe nachgedacht, John.«
»Das ist immer gut.«
»Das weiß ich nicht recht, denn das Ergebnis, zu dem ich gelangt bin, freut mich nicht eben.«
»Wie sieht es denn aus?«
»Ich glaube, dass mich der Riesenvogel holen will. Du hast vorhin von den Vogelmenschen erzählt, John, und ich habe genau aufgepasst. Ich bin doch etwas wie ein Vogelmensch. Vielleicht soll ich zu einer Stammmutter werden, aus der eine neue Generation von Vogelmenschen entsteht. Oder ist das zu weit hergeholt?«
»Das denke ich schon.«
»Außerdem würde ich es nicht zulassen«, meldete sich Maxine hinter unseren Rücken.
Ich drehte mich. Die Ärztin hatte die Küche betreten, ohne von uns gehört worden zu sein. Es war fast dunkel im Raum.
Nur an der Schrankleiste brannte das schwache Licht. Es sorgte dafür, dass zumindest eine Gesichtshälfte einen hellen Schein erhielt.
»Das kann ich mir denken.«
»Bei dem neuen Licht habe ich so gut wie möglich den Garten durchsucht, John, aber da ist nichts. Da ist wirklich nichts zu sehen.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Carlotta hat auch nichts entdeckt.«
»Warum hat sie hinausgeschaut?«
»Es liegt an ihrem unguten Gefühl. Sie glaubt, dass die anderen wieder unterwegs zu uns sind.«
»Das würde bedeuten, dass sie uns gefunden haben.«
»Genau.«
Die Ärztin schwieg. Sie war nachdenklich geworden, denn auch sie ging davon aus, dass sich Carlotta sicherlich nichts eingebildet hatte. Sie war ein besonderer Mensch und sehr sensibilisiert, was bestimmte Dinge anbetraf. Wir ließen sie in Ruhe, beobachteten sie aber weiterhin und stellten fest, dass sie von einer gewissen Nervosität erfasst worden war, denn sie konnte nicht mehr ruhig am Fenster bleiben und drehte den Kopf ständig von einer Seite zur anderen, als wäre sie dabei, den gesamten Garten zu untersuchen.
Plötzlich straffte sich ihr Körper. Einen Moment später drehte sie sich um.
»Was ist jetzt?«, fragte ich.
Carlotta leckte über ihre Lippen. »Ich muss raus, John!«
»Nein!«
»Doch, ich muss!«
»Warum?«
»Sie wollen mich.« Ihre Fingerkuppen legte sie gegen die Schläfen. »Das weiß ich ganz genau, sie wollen mich. Wenn ich nicht komme, wird
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