1236 - Grauen im stählernen Sarg
besser.«
Sie ließ die restlichen Stauden liegen und drehte sich uns zu.
»Was wollen Sie eigentlich? Sie gehören nicht zu uns. Sie sind fremd hier. Wir mögen keine Fremden und wollen lieber unter uns bleiben. Also verlassen Sie die Insel.«
»Sind hier nie Fremde?«, fragte Suko.
»Nur wenige. Und wenn, dann stellen sie keine Fragen, schauen sich hier um und verschwinden wieder. Es sind in der Regel Naturliebhaber. Menschen, die sich für die Fauna hier interessieren. Vor allen Dingen Ornithologen.«
»Wer sagt Ihnen, dass wir das nicht sind?«
Jetzt lachte sie. Nur klang es nicht freundlich. »So etwas sehe ich Ihnen an.«
»Guter Blick«, lobte Suko.
Die Frau wollte sich wieder ihrer Arbeit zuwenden, aber ich sprach sie an und hielt sie davon ab. »Sagt Ihnen der Name Ernie Slater etwas?«
Sie erwiderte zunächst nichts. »Warum wollen Sie das wissen, bitte schön?«
»Wir kennen ihn.«
»Ja, er war hier.«
»Und was hat er gemacht?«
»Beobachten, mehr nicht.«
»Was denn?«
»Vögel, denke ich. Was soll man sonst hier schon beobachten können?«
»Stimmt. Hat er auch bei Ihnen gewohnt?«
»Nein, er lebte für sich in einem Zelt. Nicht weit von der Ruine entfernt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, aber so leicht machten wir es ihr nicht. »Haben Sie Angst vor Vampiren?«, fragte ich sie.
Sie zuckte zusammen. Dabei verlor sie auch ihre Sicherheit.
Schon aggressiv stellte sie die Gegenfrage. »Warum sollte ich Angst vor…« Sie legte eine Hand in die Nähe ihres linken Ohrs, das unter dem Kopftuch verborgen war. »Wovor sollte ich Angst haben?«
»Vor Vampiren«, wiederholte ich.
»Hören Sie doch mit dem Unsinn auf. Was sind Vampire? Ich…ich…gehen Sie endlich.«
Wir blieben stehen, und Suko gab die nächste Antwort.
»Vampire sind lebende Tote, die sich vom Blut der Menschen ernähren. Nur wenn sie es trinken, können sie auch weiterhin existieren. Das Fatale daran ist, dass die Menschen, die einmal ihren Biss verspürt haben, ebenfalls zu Vampiren werden. So kann es dann sehr leicht zu einer Kettenreaktion des Grauens kommen.«
»Märchen.«
»Knoblauch hilft gegen Vampire.«
»Danke für den Ratschlag.«
»Warum hängen Sie es auf?«, fragte ich.
»Weil ich den Geruch mag.«
Diesmal hatte ihre Antwort nicht so selbstsicher geklungen.
Das Zittern in der Stimme war nicht zu überhören gewesen.
Die Selbstbeherrschung bröckelte ab. Sie blieb auch nicht mehr am Fenster stehen, ging mit leicht taumeligen Schritten auf einen Tisch zu und ließ sich dort auf den kantigen Holzstuhl sinken. Bevor sie ihre Hände gegen das Gesicht schlug, flüsterte sie: »Gehen Sie. Bitte, gehen Sie…«
»Das werden wir nicht«, erklärte ich und setzte mich auf einen zweiten Stuhl und ihr gegenüber. »Wir werden bleiben, denn wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen. Ich habe nicht grundlos nach Ernie Slater gefragt. Er hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht.«
Die Frau hob die Schultern, ließ ihre Hände aber weiterhin gegen das Gesicht gepresst.
»Möchten Sie einen Drink?«
Sie nickte.
Das hatte auch Suko gesehen. Er war schon unterwegs und drückte sich hinter die Theke. Dort fand er genügend Flaschen in einem Regal. Er griff nach einem Scotch und brachte auch das Glas mit. Am Tisch schenkte er ein. Als die Frau das Gluckern der Flüssigkeit hörte, ließ sie ihre Hände sinken.
Sie war sehr blass geworden. Wahrscheinlich hatten wir das richtige Thema angesprochen, aber noch war sie nicht aufgeweicht. Auch Suko saß jetzt an unserem Tisch. Beide schauten wir zu, wie die Frau trank. Ihr Blick war dabei ins Leere gerichtet. Sie schluckte den Whisky und sagte kein einziges Wort. Erst als das Glas fast leer war und sie es weggestellt hatte, sprach sie uns wieder an.
»Es ist trotz allem besser, wenn Sie gehen. Wir müssen damit allein zurechtkommen.«
»Haben Sie das auch Ernie Slater gesagt?«
»Ja.«
»Was hat er getan?«
»Er ist gegangen.«
»Einfach so?«, fragte Suko.
Die Frau atmete tief aus. Sprechen konnte sie nicht.
Suko unterhielt sich leise mit ihr. Ich hielt mich zurück und bekam so Gelegenheit, mein Kreuz hervorzuholen. Die Frau schaute mich dabei nicht an. Erst als ich das Kreuz auf den Tisch legte, hob sie den Blick, um ihn sofort danach zu senken.
»Mein Gott!«, flüsterte sie, und ihr Gesicht überzog sich mit einer gewissen Röte. »Was ist das?«
»Ein Kreuz.«
»Ja, das
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