1236 - Grauen im stählernen Sarg
sehe ich. Aber…« Sie konnte nichts mehr sagen, und wich davor zurück, wobei sie sich gegen die Lehne des Stuhls drückte.
Ich wollte ihr die Scheu nehmen, lächelte und sprach zugleich. »Es ist ein besonderes Kreuz. Eines, das sogar einmalig ist. Sie können es ruhig anfassen.«
Es war ein Vorschlag, doch er wurde noch nicht sofort in die Tat umgesetzt, denn die Frau zögerte. Sie schluckte, sie holte durch den offenen Mund Luft, und erst als ich es hochkant stellte, schickte sie mir ein Nicken.
»Bitte…«
Vorsichtig gr iff sie mit der Hand danach. Der Unterarm rutschte über die Tischplatte hinweg. Da sie die Hand geöffnet hatte, sorgte ich für eine vertrauensbildende Maßnahme und drückte ihr das Kreuz zwischen die Finger.
Zuerst sah es aus, als wollte sie das Kreuz fallen lassen, dann aber fasste sie fester zu und hielt es plötzlich fest wie einen Strohhalm, an dem ihr Leben hing.
»Es ist so wunderbar«, flüsterte sie, »so einmalig. Es tut gut, wenn ich es in der Hand halten kann. Mein Gott, ich kann es nicht fassen. Das ist wie ein Strom, der durch meinen Körper rinnt.« Sie konnte plötzlich lächeln, und auf ihrem Gesicht schien wirklich die Sonne in dieser trüben Umgebung aufzugehen.
»Es ist meine Waffe«, erklärte ich ihr mit leiser Stimme.
Sie schüttelte den Kopf. »Waffe? Wogegen denn?«
»Gegen das Böse - und natürlich auch gegen Vampire. Sind Sie nun bereit, uns Ihr Vertrauen zu schenken?«
Sie räusperte sich. Meinem Blick konnte sie nicht mehr standhalten. Sie senkte den rechten Arm und legte das Kreuz auf die Tischplatte, wobei sie ihm noch zunickte.
»Ja, ich vertraue Ihnen.«
Ich legte meine Hand auf ihre und spürte, dass ihre Haut leicht zitterte. Sie schluckte und streifte das Kopftuch mit der Linken ab. Sie knüllte es zusammen und hielt es fest.
»Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«
»Ich heiße Rose Carry.«
Jetzt stellten auch wir uns vor, und endlich war das Eis zwischen uns gebrochen.
»Leben Sie allein hier im Haus und…«
»Nein, nein. Mit meinem Mann und mit meiner Tochter. Aber mein Mann schläft. Er ist Fischer wie alle hier. Er war in der Nacht draußen und dann auf dem Festland, um den Fang zu verkaufen. Jetzt ist er so müde.«
»Und was ist mit Ihrer Tochter?«
»Amy ist auch da.«
»Lebt sie hier?«
Rose Carry lächelte schmal. »Nein, Mr. Sinclair. Sie wohnt auf dem Festland. Sie hat dort einen Job in einer Fischfabrik. Sie ist im Büro des Direktors als Sekretärin beschäftigt. Aber sie ist hier, weil sie ein paar Tage Urlaub hat. Den verbringt sie gern bei uns, denn sie möchte auftanken.«
»Schläft sie auch?«
»Nein, sie ist unterwegs.«
»Sucht sie etwas?«
Rose senkte den Kopf. Bei ihrer Antwort verlor die Stimme an Kraft. »Sie will uns behilflich sein und hat sich eben auf die Suche gemacht. So müssen Sie das sehen.«
»Wen sucht sie denn?«, erkundigte sich Suko.
»Ihn!« Rose schoss die Röte ins Gesicht, als wäre ihr die Antwort peinlich gewesen.
»Den Vampir?«
»Ja!«
»Dann glaubt sie daran?«
Rose nickte.
»Hat sie ihn gesehen?«
»Ich weiß es nicht. Sie kannte auch Ernie Slater. Die beiden haben mal hier gesessen und zusammen geflüstert. Aber das ist vorbei. Amy hat auch die Knoblauchstauden besorgt. Sie hat mal gelesen, dass man sich die Vampire so vom Leib halten kann.«
»Gut«, sagte ich. »Sie und Ihre Tochter sind also davon überzeugt, dass es den Blutsauger noch gibt.«
»Genau das sind wir.«
»Wer noch?«
Rose runzelte die Stirn. »Bitte, Mr. Sinclair, wie meinen Sie das?«
»Ich denke da an die Männer.«
»Ja, ja, kann sein, aber sie tun nichts. Sie sprechen mit uns nicht darüber. Sie fahren in der Nacht raus, um zu fischen.«
»Haben Sie sich gedrückt?«
»Amy sieht es so. Sie will den Vampir allein fangen. Ja, das will sie allerdings.«
»Was sagen Sie dazu?«
»Ich habe Angst um sie. Große Angst.«
Das hatte sie tatsächlich. Um dies zu erkennen, brauchten wir nur in ihre Augen zu schauen.
Suko wollte kaum glauben, dass die Männer nichts getan hatten. Danach fragte er auch.
»Nein, sie haben sich zurückgehalten.«
»Sind sie feige gewesen?«
»Das glaube ich nicht. Sie haben es nur nicht geglaubt. Sie hielten es für albernes Gewäsch. Nicht aber Amy. Sie hat sich auf die Suche gemacht, obwohl ich sie gewarnt habe. Sie konnte nicht hören, und sie war der Meinung, dass es besser ist, wenn man einen Vampir am Tag sucht und jagt.«
»Warum?«
»Dann schlafen sie doch -
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