124 - Auf der Todesgaleere
füllte meinen Mund. Das Fleisch war zartfaserig, und kleine Kerne rutschten in meine Kehle. Ich brauchte sie nicht zu zerkauen.
Nachdem ich die Knollenhälfte gegessen hatte, warteten wir gespannt auf die Wirkung. Mein Magen revoltierte nicht, ich vertrug das Fleisch sehr gut, und das Verblüffende daran war, daß ich nicht mehr davon zu essen brauchte.
Mein Hungergefühl war nicht nur weg, ich fühlte mich so satt, als hätte ich zwei riesige Steaks mit Beilage verdrückt.
»Nun?« fragte Ben Tallant ungeduldig. »Was ist?«
Ich überließ ihm die andere Knollenhälfte. »Iß!«
»Warum ißt du sie nicht auf? Ich kann mir eine andere Knolle nehmen.«
»Ich bin satt.«
Ben sah mich überrascht an. »Von dem bißchen?«
»Es reicht, du wirst sehen. Es ist ungemein sättigend - und kräftigend.« Hinzu kam noch eine leicht berauschende Wirkung, wie ich feststellte, als hätte ich Alkohol getrunken - mindestens drei Whiskys. Ben Tallant biß in die Knollenhälfte und riß begeistert die Augen auf.
»Sie schmeckt köstlich«, sagte er, »Unser Nahrungsproblem ist damit gelöst, Tony. Wir nehmen von diesen Knollen mit, soviel wir tragen können.«
Die Idee war gut. Ich grub sofort weitere Knollen aus, und wir stopften damit unsere Taschen voll.
Bei Ben zeigten die »drei Whiskys« mehr Wirkung; er lachte und tanzte und überschüttete mich mit Dankesworten. Er war in seinem dreihundertjährigen Leben noch nie so glücklich und zufrieden gewesen, behauptete er.
Wir brachen auf. Die berauschende Wirkung der Knolle ließ lange nicht nach. Das war nicht ungefährlich, denn wir mußten auf der Hut sein.
Überall konnte ein Feind über uns herfallen. Ich hatte keine Ahnung, wie stark mein Reaktionsvermögen beeinträchtigt war.
War es ratsam, mehr von diesen Knollen zu verzehren? Konnten wir davon abhängig werden?
Ich war schon einmal nicht mehr Herr über mich selbst gewesen. Damals hatte mich das gefährlich Marbu-Gift verseucht und zum Dämon machen wollen.
Ich hatte keine Lust, so etwas in leicht abgeänderter Form noch einmal zu erleben. Aber vielleicht tat ich den Knollen unrecht. Vielleicht waren sie harmlos, vor allem deshalb, weil ich sie mit Shavenaar auseinandergeschnitten hatte.
Ich wünschte mir, mehr zu wissen, doch woher sollte ich dieses Wissen nehmen? Ich beschloß, nur im äußersten Notfall eine Knolle mit Ben zu teilen, um die Gefahr so gering wie möglich zu halten.
Ben redete laut und unbekümmert. Ich mußte ihn immer wieder ermahnen, leise zu sein, während wir durch einen unwirklichen weißen Waid schritten.
Jetzt hatten Büsche und Bäume Blätter, aber sie waren nicht grün, sondern weiß, auch die Äste und Stämme -weiß, wie gefroren, doch das waren sie nicht.
Ich berührte ein Blatt. Es war warm, hatte etwa meine Körpertemperatur, und da, wo meine Finger mit dem Blatt in Berührung gekommen waren, entstanden schwarze Flecken, laus denen rotes Blut rann. Das Blatt verwelkte innerhalb weniger Augenblicke und fiel ab.
Mir kam vor, als hätte ich durch die Berührung ein Lebewesen vernichtet. Ich faßte kein weiteres Blatt mehr an.
Ben Tallant ging hinter mir.
»Was ist mit deinem Schwert, Tony?« fragte er.
Es war mir auch schon aufgefallen: Ein pulsierendes Leuchten lag auf der breiten Klinge. Irgend etwas stimmte in unserer unmittelbaren Umgebung nicht, und Shavenaar reagierte darauf.
Ich wollte Ben nicht beunruhigen, deshalb sagte ich nur: »Das Schwert steht im Moment unter Spannung. Das kommt ab und zu vor.«
»Vielleicht nimmt es eine Bedrohung wahr«, sagte Ben Tallant.
Ich blieb stehen, Ben auch, und wir vernahmen ein schleifendes Geräusch, das uns verriet, daß wir uns nicht allein im weißen Wald befanden.
Jemand schlich hinter uns her. Auf der Erde hätte ich mich gefragt: Freund oder Feind? Diese Frage erübrigte sich hier, denn ich hatte keine Freunde in der Hölle.
»Geh weiter!« raunte ich Ben zu. Er zögerte. Im Moment war nichts zu hören. Ich schob Ben an mir vorbei, »Nun mach schon, tu, was ich sage!«
Ben Tallant gehorchte, und ich wartete, mit Shavenaar in meinen Händen.
***
Noch regte sich nichts. Wie weit sich Ben entfernt hatte, wußte ich nicht. Meine Nervenstränge strafften sich, Wie lange sollte ich noch hier stehen bleiben? Wie lange sollte ich Ben noch allein lassen?
Mein Blick richtete sich auf Shavenaar. Das pulsierende Leuchten hatte aufgehört. Hieß das, daß sich der Feind zurückgezogen hatte? Ich ließ das Höllenschwert
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