124 - Die weisse Frau vom Gespensterturm
den Sarg. Die schwarze krumige Erde polterte auf den
Deckel an die Stelle, wo Mornas Gesicht lag. Mit jeder weiteren Schaufel Sand,
die herabgeworfen wurde, schränkte sich ihr Blickfeld mehr und mehr ein. Eine
dünne Schicht bedeckte bereits den Glasdeckel. Die Schicht wurde dichter, die
letzten Lichtspuren der beiden brennenden Fackeln vergingen. Absolute
Dunkelheit hüllte die Schwedin ein. Dann war auch das Geräusch der auf sie
fallenden Erde nicht mehr wahrnehmbar, weil die Schicht schon so umfangreich
war. X-GIRL-C war allein in Dunkelheit und Stille mit ihrem Grauen, das wie eine
eiskalte Krallenhand nach ihrem Herzen griff. Sie war lebendig begraben.
●
Ich bin
verloren, gellte der Gedanke in dem Moment durch sein Hirn, als er die Schwelle
übertrat. Er wusste nicht, wo er sich befand, ob in einem Vorhof der Hölle, ob
im Pandämonium, wo Geister und Dämonen zu Hause waren, oder in einer Dimension
des Grauens, für die es keine nähere Bezeichnung gab. Er wusste nur eines:
nicht Hände waren es, die ihn herübergezerrt hatten, sondern eine unsichtbare
Kraft, die gleiche, die als Windböe aufgetreten war und die Schlafzimmertür ins
Schloss geworfen hatte. Diese Kraft zeigte sich im Zusammenhang mit
Poltergeistern und Spukerscheinungen überall in der Welt. Sie wirkte sich auf
Verursacher wie ahnungslose, unschuldige Opfer aus. Das Kraftfeld im goldenen
Rahmen, der einst einen Spiegel hielt ... Spiegel besaßen seit alters her eine
geheimnisvolle Magie und beschäftigten den Menschengeist. Seit jeher waren
Menschen von ihrem Spiegelbild, zum ersten Mal im Wasser gesehen, fasziniert
und glaubten, dass das Spiegelbild in der Lage war, die Seele aus dem sich
spiegelnden Originalkörper herauszuziehen.
Die
teuflische Kraft von irgendwo war durch Ängste und Beschwörungen, durch die
Flüche und das Grauen jener Lady Myra in jenen Spiegel, den sie ebenfalls als
Geschenk erhielt, gerufen worden. Solange sich der Spiegel, dem sie ihre Gefühle
anvertraute, in dem sie ihr Spiegelbild wie eine Person als einzigen
Gesprächspartner verehrte, sich in dem Gespensterturm befand, war der Spuk auf
diesen Ort beschränkt geblieben. Harriet und ihr Mann hatten den Spiegelrahmen
entdeckt und mitgenommen. Damit brachten sie auch das Unheil in das Haus Parker-Johnsons.
Harriet veränderte sich immer mehr und nahm Eigenschaften an, die zu Lady Myra
gehörten.
Lady Myras
Geist nahm Rache wegen dem Verbrechen, das an ihr verübt wurde. Sie wurde
selbst zur Verbrecherin und später zur mordenden Bestie an Männern, die sich
von ihrer schönen Erscheinung hatten anlocken lassen. Tony McGill war von
seiner eigenen Frau, die von Lady Myras Geist besessen war, getötet worden. Mit
Hilfe der unheilvollen Kraft, die innerhalb des Spiegelrahmens wirken konnte.
Diese Kraft
versuchte nun auch Larry Brent ganz in ihren Bann zu ziehen. Im Gegensatz zu
all den anderen Opfern, die ahnungslos die Schwelle überschritten hatten,
wusste Larry, welche Gefahr bestand, und reagierte sofort. Genau darin lag die
Chance, die andere vor ihm nicht erkannt hatten und deshalb nicht nutzen
konnten. Die Länge der Zeit, die man jenseits der Schwelle verbrachte, war
maßgebend für das, was den anderen zugestoßen war. Den Einflüssen aus dieser
unheilvollen Sphäre keine Zeit geben! Er merkte schon, wie es an und in ihm
riss, als würde er von tausend unsichtbaren Händen gleichzeitig berührt. Er
drohte zu vergessen, woher er kam und was jenseits des Schleiers geschehen war.
Er hörte grauenvolle Geräusche, die sich wie Schmatzen, Fauchen, Ächzen und
Stöhnen gleichzeitig anhörten. Die Wehklagen gequälter Seelen und unsichtbarer
Geister, die ihn zu sehen schienen, während er sie nicht wahrnahm. Noch nicht!
Vielleicht würde das in dem Moment passieren, wo seine Verwandlung
abgeschlossen war. Aber gerade dieses Wissen, was ihn erwartete, war seine
Chance. Die Opfer vor ihm stolperten in die Ungewissheit. Er war durch Tony
McGills Beispiel vorgewarnt. Alle diese Gedanken gingen ihm im Bruchteil einer
Sekunde durch den Kopf.
Larry Brent
alias X-RAY-3 stemmte sich der Kraft entgegen, die ihn zuschob und drückte,
stemmte sich der eigenen Neugier entgegen, die ihn veranlasste, sich umzusehen,
abzuwarten und den Gefühlen Einlass zu gewähren, die von außen in ihn
hineingetragen werden sollten.
Flieh!
Er warf sich
herum, machte auf dem Absatz kehrt, und nichts und niemand hinderte ihn daran. Der feste Griff vorhin war kurz, kraftvoll und
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