1241 - Der Mördermönch von Keitum
eine Nebelgestalt, die aus dem Dunst geboren war und nun ihr Ziel suchte. Sie ging nicht normal. Trotz der Dunkelheit sah er, dass sie schwankte. Trotz dieser Bewegungen kam ihm nicht in den Sinn, es mit einem Betrunkenen zu tun zu haben. Nein, das passte einfach nicht.
Der genossene Alkohol hatte für einiges gesorgt, aber nicht dafür, dass ihm der Sinn für bestimmte Merkmale abhanden gekommen war. Zum ersten Mal verspürte Andy Brass das bedrückende Gefühl der Furcht, das in ihm aufstieg und sich auch außen ausbreitete. Er merkte, wie sein Herz schneller schlug, wie er die Kälte nicht mehr spürte und ihm das Blut in den Kopf stieg, sodass ihm heiß wurde.
Die Umgebung kam ihm noch stiller vor, und deshalb hörte er das Schlurfen der Schritte noch deutlicher. Er sah ein blasses Gesicht und hörte das unheimlich klingende Stöhnen.
Und dann war die Gestalt so nahe an ihn herangekommen, dass er sie erkennen konnte.
Andys Augen weiteten sich. Er schalt sich einen Narren. Er sah sich als verrückt und durchgedreht an, denn er hatte plötzlich erkannt, wer sich auf dem Weg näherte.
Es war Nelly Becker!
***
Andy Brass stand noch zwei Sekunden unbeweglich. Dann zuckte er zurück, packte beide Fensterhälften und rammte sie zu. Es kümmerte ihn nicht mehr, ob er dabei Geräusche machte oder nicht und seine Familie wach wurde. Er hatte instinktiv gespürt, dass mit Nelly Becker etwas nicht stimmte und sie nicht die Frau war, die er kannte.
Am liebsten wäre er mit einem Sprung wieder zurück ins Bett gehechtet. Es war nicht möglich. Er stand starr auf der Stelle und wartete darauf, dass etwas geschah.
Und es passierte wirklich etwas. Von der rechten Seite her schob sich die Gestalt auf das Fenster zu. Hatte er bis jetzt noch Zweifel gehabt, dass sie es tatsächlich war, so wurde er nun davon überzeugt. Er hatte es tatsächlich mit Nelly Becker zu tun.
Sie war die einsame Wanderin durch die Nacht, und sie erreichte das Fenster, vor dem sie stehen blieb.
Auch Andy ging nicht weg. Etwas zwang ihn, auf der Stelle stehen zu bleiben und nach vorn zu schauen. Durch die Scheibe in die Dunkelheit hinein, die hinter dem Fenster lag, aber nicht so stark war, als dass sie das Gesicht der Person völlig hätte verdecken können. Es war Nelly! Aber sie sah anders aus. So bleich wie eine Tote. Mit Schatten im Gesicht, in dem sich jetzt etwas bewegte. Es steckte innen in der Haut. Es drückte sie nach vorn und ließ das Gesicht so aussehen, als wäre es von einer Gummihaut überspannt worden. Nelly öffnete ihren Mund! Brass nahm unwillkürlich den Kopf etwas zurück. Er hatte das Gefühl, dass Nelly das Fenster zerstören und ihn angreifen wollte. Das passierte nicht, aber Nelly Becker drückte ihr Gesicht direkt von außen her gegen die Scheibe, sodass beide Gesichter nur eine Handlänge voneinander entfernt waren. Sie starrten sich an.
Wieder dachte Andy Brass an Flucht, aber er konnte nicht.
Der Anblick der Frau bannte ihn auf der Stelle. Instinktiv wusste er, dass mit ihr etwas geschehen war, doch er konnte nicht sagen, welches üble Schicksal sie erreicht hatte.
Da gab es was…
Sie grinste plötzlich. Es war ein widerliches Grinsen. Sie zog dabei ihren Mund in die Breite, sodass er auf eine Fratze schaute. Im Mund bewegte sich etwas und schob sich dann hervor. Es war eine lange Zunge, die mit ihrer Spitze die Scheibe von außen berührte wie eine Schnecke, die an der Hauswand in die Höhe gekrochen war. Selbst eine Speiche lspur blieb zurück, und Andy nahm dieses Bild einfach als widerlich hin.
Aber es passierte noch mehr. Die Bewegungen unter der Haut gingen weiter. Das gesamte Gesicht erhielt einen entstellten Ausdruck. Es bildeten sich Beulen, kleine Mulden und auch Falten. Es war einfach widerlich anzusehen.
Die Augen traten aus den Höhlen. Das Gesicht wurde vor die Außenseite der Scheibe gepresst, und von beiden Seiten näherten sich ihm die Hände, deren Finger dann in die Haut hineingriffen. Sie quetschten sie an zwei Stellen zusammen, hielten sie dort fest, und einen Moment später riss die Haut in verschiedene Richtungen weg.
Brass konnte nicht glauben, was er sah. Selbst ohne seine Brille war es an Deutlichkeit nicht zu übertreffen. Das Gesicht war von der Haut befreit worden, und darunter kam das zum Vorschein, was sie bisher verborgen gehalten hatte.
Andy glaubte, endgültig durchzudrehen. Dass er nicht schrie und wegrannte, darüber wunderte er sich selbst. So blieb er stehen, um das zu
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