1242 - Geheimbund Omega
eine große Hand an der Schulter. Dann wurde ich herumgezerrt und schaute in das verschwitzte Gesicht eines jungen Mannes in Uniform.
»Gehen Sie hier weg! Hier ist nichts zu sehen!«
»Was ist denn passiert?«
»Verschwinden Sie!«
Als Antwort zog ich meinen Ausweis. »Scotland Yard, Meister. Und ich werde nicht verschwinden.«
»Ja, schon gut.«
Er ging und ließ uns in Ruhe.
»Da ist was mit dem Fahrer, John.«
Suko hatte Recht. Der Mann hatte alles gesehen und erlebt. Er sah aus wie jemand, der sich schuldig fühlte, und ich musste ihn schon laut ansprechen, bevor er überhaupt reagierte.
»Was ist denn los gewesen?«
Der Mann mit dem Bart ballte seine Hände zu Fäusten. Dann sagte er: »Der alte Mann war plötzlich da. Vor mir. Ich konnte nicht mehr bremsen. Ich habe ihn erwischt.«
»Er stürzte auf die Schienen?« Ich wollte es genau wissen.
»Ja. Dann erfasste ihn der Wagen. Er kann nicht mehr leben. Er liegt darunter.«
Suko stellte die nächste Frage. »Haben Sie gesehen, ob er freiwillig in den Tod gesprungen ist?«
»Weiß ich nicht.«
Wir hätten es uns denken können, dass dies der Grund für die starke Bremsung gewesen war. Mit derartigen Ereignissen muss man eben immer rechnen. Es gab genügend Menschen, die auf diese Art und Weise aus dem Leben schieden.
Wir traten zurück und hätten eigentlich gehen können, aber Suko traf keine Anstalten, und ich blieb ebenfalls stehen. Nicht weil uns das Durcheinander auf dem Bahnsteig so gefiel, sondern weil wir etwas gehört hatten.
Nicht weit von uns entfernt unterhielten sich ein Mann und eine Frau. Beide sprachen so laut, dass wir sie verstehen konnten, obwohl der Lärmpegel nicht eben niedrig war.
»Das war der perfekte Selbstmord. Eigentlich ein schöner Tod. Man muss nur einen Punkt überwinden, und dann hat man Ruhe.«
»Das stimmt nicht!«, rief die Frau.
»Wieso? Ich habe es doch gesehen!«
»Ja, schon. Er ist auch gefallen, aber nicht freiwillig. Da ist jemand gewesen, der ihn gestoßen hat.«
»Das sagen Sie!«
»Ich habe es genau gesehen, verdammt!«
Unsere Kollegen trafen ein. Es waren die Männer in den Uniformen, die das Gebiet zunächst mal absperren würden, um sich dann um die Zeugen zu kümmern.
Wir aber hatten etwas gehört. Ich kannte Sukos schrägen Blick und wusste, was er damit meinte. Seine Frage folgte auch prompt. »Gestoßen, John? Du hast es doch auch gehört?«
»Und ob.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich finde, wir sollten uns darum mal etwas intensiver kümmern.«
»Okay.«
Es war zwar nicht unbedingt unser Job, aber die berufliche Neugierde setzte sich schon durch. Die Frau, die so bestimmt ihre Überzeugung vertreten hatte, war etwas zurückgewichen und stand jetzt an der gekachelten Wand. Sie musste immer noch mit dem Eindruck des Erlebten kämpfen. Sie atmete tief ein und ebenso tief wieder aus, bewegte ihren Kopf und hatte die Handtasche fest gegen ihren Körper gedrückt. Auf mich machte sie den Eindruck einer Person, die dabei war, nach irgend jemandem Ausschau zu halten.
Sie war um die vierzig, hatte blondiertes Haar und trug einen langen dunkelgrünen Ledermantel. Um den Hals hatte sie einen weißen Schal gebunden. Es würde sicherlich noch dauern, bis sie sich von dem Schreck erholt hatte, und diese Zeit wollten wir nutzen.
Um die uniformierten Kollegen kümmerten wir uns nicht. Sie sperrten erst mal ab und suchten noch Zeugen, die den Vorfall beobachtet hatten. Das sah auch die blonde Frau. Wir merkten, dass sie sich melden wollte und ließen es dazu nicht mehr kommen.
Plötzlich standen wir vor ihr. Wir nahmen ihr die Sicht und als sie uns anschaute, erschrak sie.
»Keine Angst«, sagte ich freundlich, »Sie sind genau an der richtigen Adresse gelandet.«
»Wieso?«
»Scotland Yard, Madam.«
Das wollte sie nicht glauben, doch dann sah sie meinen Ausweis und war erleichtert. Sie schloss für einen Moment die Augen und lächelte. »Ich dachte schon, dass Sie… dass Sie…«
»Dass wir wer?«, fragte ich.
»Nichts, schon gut.«
»Nein, nein«, sagte Suko. »Wir sind nicht grundlos zu Ihnen gekommen, denn wir haben gehört, was Sie zu diesem Herrn gesagt haben. Sie halten diesen Unfall nicht für einen Unfall. Sagen wir es mal so.«
»Ja, das stimmt.«
»Also ist es…«
»Mord!«, flüsterte sie uns zu. »Es ist Mord gewesen. Davon bin ich überzeugt.«
»Und was macht Sie so sicher?«
Sie räusperte sich und schaute an uns vorbei. »Ich konnte sehen, wie der alte Mann
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