1244 - Die Besucher
unternehmen.
Viel schoss durch ihren Kopf. Die Gedanken zu ordnen, war nicht einfach, aber es kristallisierte sich ein Punkt heraus.
Ich bin unfähig! Ich bin unfähig, etwas zu unternehmen. Es ist vorbei. Es ist aus. Ich bin keine gute Mutter. Ich bin jemand, über den man nur den Kopf schütteln kann. Ich tue nichts, obwohl mein Sohn vor meinen Augen entführt wird.
Sie bekam ihre Gedanken nicht mehr unter Kontrolle. Aber es war ihr auch nicht möglich, zu handeln. Sie war und blieb die Zuschauerin.
Auch der letzte Schatten huschte an ihr vorbei. Zusammen mit dem Jungen. Er lag auf den Armen des Entführers und bewegte sich nicht. So wie er aussah, konnte er auch ebenso gut eine Leiche sein. Das war einfach nicht zu fassen. Die Fremden bewegten sich, als wären sie hier zu Hause.
Ob sie atmete oder nur die Luft anhielt, das wusste Germaine Duc nicht. Sie war auch nicht in der Lage, einen Arm zu heben, um die Gestalten zu stoppen, die bereits dicht vor der Haustür waren und sie jetzt öffneten.
Dann waren sie weg…
Sekunden verstrichen, und die Frau stand noch immer starr auf der Stelle. Sie fühlte sich so mies. Wie eine Verräterin an ihrem eigenen Fleisch und Blut.
Sie wusste nicht, wann dieses helle Sirren wieder erklang, ob eine Minute oder eine Stunde verstrichen war, denn das Gefühl für Zeit hatte sie verloren.
Das Geräusch füllte ihre Ohren. Es klang so schrill, dass es schmerzte.
Allmählich kam Germaine wieder zu sich. Etwas rieselte durch ihren Körper. Sie war endlich wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und sich auf sich selbst und ihre Umgebung zu konzentrieren. Es war wie immer. Es gab sie noch und ihr war auch nichts passiert. Sie stand noch immer auf dem gleichen Platz und sah aus wie jemand, der darüber nachdachte, wie er dorthin gekommen war.
Leider wusste sie es.
Und sie wusste noch mehr. Sie hatte Besuch bekommen. Jetzt war dieser Besuch weg. Er hatte ihr nie etwas getan, aber sie kannte sich trotzdem aus. Ihre Hände fuhren hoch zum Gesicht und strichen über die Wangen hinweg. Sie fühlte sich schlecht, und als sie sich entschlossen hatte, nach vorn zu gehen, da merkte sie, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.
Der kurze Weg führte Germaine in das Zimmer ihres Sohnes.
Die Tür war nicht geschlossen. Im Raum war es dunkel. Für einen Moment durchströmte sie die Hoffnung, alles nur geträumt zu haben, bis sie das Licht wieder einschaltete.
Da sah sie es.
Es war ein für sie brutaler Anblick, als sie auf das leere Bett starrte…
***
Owen Donnel gehörte zu den Menschen, deren Leben in einer gewissen Regelmäßigkeit ablief. Er war in Kiltegan geboren, dort aufgewachsen und so gut wie nie in seinem Leben aus dem Ort herausgekommen. Mal in Cork, mal in Dublin, das war auch alles. Ansonsten blieb er auf seiner Scholle und lebte nicht schlecht davon.
Im Sommer führte er Touristen durch die Gegend, ließ sich das gut bezahlen, und im Winter brannte er seinen sogenannten Weihnachtswhisky, der ebenfalls gut verkauft wurde, so dass er von dem Erlös über die nächsten Monate hinwegkam, bis wieder die ersten Touristen erschienen und der ganze Kreislauf wieder von vorn bega nn.
Im Winter war er oft in den Pubs zu finden. Den eigenen Whisky trank er nicht, der war nur für den Verkauf bestimmt, aber in den Pubs gab es Bier. Da war es gemütlich. Da konnte er sich unterhalten, denn zu Hause wartete niemand auf ihn.
Er war nicht verheiratet, seine Eltern lebten nicht mehr, und sein Bruder hatte einen Job in den Staaten gefunden. In seiner alten Heimat ließ er sich nicht mehr blicken.
So fühlte sich Owen Donnel in seiner kleinen Kate mehr als wohl, obgleich das Haus schon ziemlich baufällig aussah, aber das störte höchstens die anderen Leute, ihn nicht.
An diesem Abend musste sich Owen wieder mal belohnen. Er verspürte einen sagenhaften Brand, der gelöscht werden musste, und machte sich deshalb auf den Weg zu seinem Lieblings-Pub. Er wohnte am Ende von Kiltegan, der Pub lag in der Mitte, und da er keine Lust hatte, zu Fuß zu gehen, holte er sein Bike aus dem Schuppen.
Das Rad hatte ebenfalls seine Jahre auf dem Buckel, aber es tat auf kurzen Strecken noch seinen Dienst. Als er den Pub schließlich betrat, war seine Kehle wie ausgetrocknet.
Der Wirt kannte ihn. Schweigend stellte er ihm ein großes Bier auf den Tresen, und Owens Augen leuchteten auf, als er den gut gefüllten Glaskrug anschaute.
Genau das war es, was er brauchte.
»Cheers,
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