1245 - Satansblut
gelungen, einen letzten Schrei auszustoßen, und so war sie einfach in ihrer wahnsinnigen Angst erstarrt.
»He, willst du nicht herkommen?«, lockte der Mann mit den Blutaugen. »Los, ich warte nicht mehr lange. Oder glaubst du, es würde mir etwas ausmachen, ihr die Kehle durchzuschne iden?«
Ich hatte mich schon in Bewegung gesetzt, war aber nach dem kurzen Dialog stehen geblieben und ging jetzt wieder weiter, wobei mich das Gefühl überkam, in mein eigenes Grab zu gehen, das weit geöffnet vor mir lag.
Der Geiselnehmer stand etwas schräg und zudem leicht gebückt. Sein Gesicht sah ich im Halbprofil, und auch dort schimmerte es rot, weil das Blut aus zahlreichen Poren und Löchern gedrängt worden war. Warum das passiert war, wusste ich nicht. Jedenfalls floss in seinen Adern kein normales Blut.
Es konnte ein Dämon mit menschlichem Aussehen sein.
Mit einem letzten Schritt überwand ich die Distanz zwischen Buchladen und Aufzugskabine.
Der Unbekannte hatte darauf gewartet. Sofort rückte er mit seiner Geisel zurück, um mir Platz zu schaffen. Niemand stoppte mehr die beiden Türhälften, die sich jetzt hinter mir zusammenschoben.
Zu dritt steckten wir in einem kleinen Gefängnis. Am Schlimmsten stand es um die junge Frau. Sie schaute mich an, doch ich war nicht sicher, ob sie mich überhaupt sah. Wer so unter Druck stand, der nahm die Normalität nicht wahr.
Auf ihrem Kopf kringelte sich das blonde Haar, das kurz geschnitten war. Um ihre Beine herum lag die Hose wie Röhren.
Alles würde anders werden. Zwar hatte ich den Kollegen geraten, nicht einzugreifen, aber daran würden sie sich nur bedingt halten. In derartigen Fällen lief immer eine gewisse Maschinerie ab. Sie würden sich mit den Kollegen in Verbindung setzen. Diese wiederum würden in der Umgebung Stellung beziehen und möglicherweise auch in den Buchladen eindringen. Sich aber so in den einzelnen Etagen verteilen, dass sie in guter Deckung waren. Natürlich musste das Geschäft auch geräumt werden.
Das wusste ich, und genau das wollte ich auch dem Geiselnehmer klar machen. »Sie haben keine Chance«, erklärte ich ihm. »Sie kommen hier nicht raus, auch wenn es im Moment so aussieht. Es gibt keine Chance für Sie. Verstehen Sie?«
»Doch, die gibt es.«
»Und wie sieht sie aus?«
»Du bist meine Chance, Sinclair, nur du. Ich will dich, und ich habe dich jetzt.«
»Tatsächlich? Das ist ja gut. Dann kannst du ja die junge Frau hier laufen lassen. Ich werde mit dir nach oben fahren oder auch jetzt rausgehen, was immer du willst. Aber lass die Frau laufen. Sie hat dir nichts getan und mit allem nichts zu tun.«
Es schien, als hätten meine Worte wieder Leben zurück in die Geisel geholt. Zum ersten Mal vernahm ich ihre Stimme, aber es war nicht mehr als ein jämmerlicher Laut, den sie von sich gab. Ein Laut, der um Hilfe flehte.
»Sie bleibt.«
»Dann bist du feige!«
»Nein, ich gehe nur auf Nummer Sicher. Wie auch bei dir, Sinclair. Du wirst alles genau tun, was ich sage. Du streckst jetzt vorsichtig deinen Arm aus und berührst den Kontakt mit der Zahl vier. Ich will nämlich ganz nach oben.«
»Das hatte ich mir fast gedacht. Aber dort kommst du nicht weg, verdammt.«
»Das lass meine Sorge sein!«
Er war nicht nervös. Zumindest zeigte er das nicht. Er schien sich alles sehr genau überlegt zu haben. Ich musste mich daran gewöhnen, dass ich ihn nicht mit normalen Maßstäben messen konnte. Es ging ihm nicht um die Frau, sondern um mich. Mich hatte er haben wollen, denn auf mich hatte er gelauert. Er musste mich schon im Freien beobachtet haben, um mich dann zu töten.
Aber warum? Wer war er? Wer hatte ihn geschickt? Und wer steckte hinter dieser Aktion?
Ich kannte keine Antwort auf diese Frage. Ich kannte nicht mal seinen Namen. Dass er auf der anderen Seite stand, war mir klar, aber damit konnte ich nicht viel anfangen.
»Los, mach schon!«
»Okay!«
Der Vorgang war klar. Wir würden in den vierten Stock fahren, und genau dort würden sich die beiden Türhälften wieder auseinanderschieben. Wenn alles normal lief. Es konnte auch sein, dass er mehrmals auf- und abfahren würde, doch darin sah ich keinen Sinn. Irgendwie musste es ja weitergehen.
Die Geiselnahme war sicherlich nicht geplant gewesen. Perfekt wäre es gewesen, wenn er mich durch einen Messerstich getötet hätte.
Ich schaute der Frau ins Gesicht. Ich wollte ihr zunicken, ihr etwas Mut machen, doch sie starrte noch immer durch mich hindurch. Bisher war ich
Weitere Kostenlose Bücher