1246 - Die Macht des Träumers
einem Ultraschallradar, einem leistungsfähigen Mikrocomputer und einem System hochempfindlicher Gehirnsensoren bestand. Aus den Ultraschallechos errechnete der Computer ein Datenmodell der Umgebung, die Sensoren wandelten diese Daten in visuelle Reize um und speisten sie direkt in das Sehzentrum des Gehirns.
Mit einem derartigen Gerät konnte man auch ohne Augen sehen.
Zweifellos, dachte Gesil, waren die Forschungszentren der Hanse mit der Entwicklung ähnlicher Geräte beauftragt worden. Möglicherweise hatte Waringers wissenschaftlicher Stab schon ein funktionsfähiges Modell entwickelt und mit der Massenproduktion begonnen. Die Schnelligkeit, mit der Waringers Leute den Pheromondetektor zur Produktionsreife gebracht hatten, war ein Beweis für das hohe wissenschaftlichtechnische Niveau der Hanse.
Außerdem konnte die Finsternis nicht ewig dauern.
Sobald sich die Situation normalisiert hatte, würde man die Suche nach Perry Rhodan aufnehmen und...
Gesil stutzte.
Irgendwo in ihre Überlegungen mußte sich ein Fehler eingeschlichen haben. Denn die strahlungsabsorbierende Eigenschaft der Finsternis erklärte nicht, warum Gucky und Deighton auf ihre Rufe nicht reagiert hatten. Und warum rührten sich die Spezialisten in der HQ-Zentrale nicht? Warum gab es keine Lautsprecherdurchsagen?
Warum, bei allen Sternen, war es hier so schrecklich still?
Seit der Manifestation der Finsternis waren nach ihrer Schätzung etwa drei, vier Minuten vergangen. Verdammt, jeder, der im HQ-Hanse arbeitete, war ein hochkarätiger Experte auf seinem Gebiet. Jeder Mann, jede Frau war psychisch stabil, hervorragend ausgebildet und fähig, auch Extremsituationen zu meistern.
Kein Hanse-Spezialist würde sich von der Dunkelheit irritieren lassen.
Und zumindest die Spezialisten in der Zentrale mußten über Perrys Entführung informiert sein! Warum war der Hauptkorridor nicht voller Leute, voller Stimmen? Warum zerriß nicht der Lärm der Alarmsirenen das grausige Schweigen? Warum hatte sie das Gefühl allein zu sein - mutterseelenallein...?
Gesil holte tief Luft. „Gucky! Galbraith!" rief sie wieder. „Meldet euch!"
Keine Antwort.
Sie überlegte, ob Gucky mit dem Sicherheitschef der Hanse fortteleportiert war, aber das war absurd. Oder hatte Kazzenkatt sie bei Beginn der Finsternis paralysiert - gar getötet?
Ihre Spekulationen führten zu nichts. Sie mußte handeln. Vielleicht beschränkte sich die Finsternis nicht auf das HQ-Hanse; vielleicht war ganz Terrania, die gesamte Erde betroffen. Stimmte ihre Befürchtung, dann konnte sie lange auf Hilfe von außerhalb warten.
Gesil gab sich einen Ruck. Sie würde sich an der Wand entlang zur Zentrale tasten, entschied sie. Mit ausgestreckten Armen wandte sie sich nach rechts. Fünf, höchstens sechs Schritte, dann mußte sie die Wand des Korridors erreicht haben.
Aber nach dem sechsten Schritt tastete sie noch immer ins Leere. Und auch nach dem zehnten, dem fünfzehnten. Sie hatte in der absoluten Dunkelheit die Orientierung verloren. Möglicherweise bewegte sie sich im Kreis. Sie fluchte, und die Finsternis schien ihre Stimme zu dämpfen, ihre Worte aufzusaugen. Sie verharrte und lauschte. Plötzlich hatte sie Angst. War da jemand - etwas - in ihrer Nähe? Sie hörte nichts, aber sie spürte, daß sie nicht allein war.
Ihr Mund war wie ausgedörrt. Sie griff an ihre Seite, nach dem Halfter mit der kleinen Handwaffe. Das kühle Material des Strahlers fühlte sich fremd an. Sie ging weiter. Durch die Finsternis. Ihre einzige Sicherheit war die Festigkeit des Bodens unter ihren Füßen.
Sie ging und ging und stieß nirgends auf ein Hindernis. Die Wände des Korridors, das Ynketerk-Schott der Zentrale oder der in der entgegengesetzten Richtung liegende Verkehrsknotenpunkt mit seinen Antigravschächten, Seitengängen und Rollbändern schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.
Gesil wanderte durch die Finsternis, und sie war allein, und die Welt war grenzenlos.
Allmählich dämmerte ihr, daß sie das Element der Finsternis falsch eingeschätzt hatte.
Es absorbierte nicht nur Licht und Hyperfunkimpulse. Es veränderte die Dinge, und diese Veränderung war noch lange nicht abgeschlossen...
Sie blieb stehen.
Da war etwas. In der Finsternis. Vor ihr, nur eine Armeslänge entfernt. Sie fühlte es, sie wußte es. Zorn erfaßte sie, und der Zorn gab ihr die Kraft und den Mut, nach diesem Etwas zu greifen.
Ihre Hand faßte ins Leere.
Aber das Gefühl, belauert zu werden, blieb. Sie
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