1249 - Bibliothek des Grauens
die Decke wie ein brauner Himmel, aus dem ebenfalls kein Lichtstrahl in die Tiefe fiel.
Grandy hatte ihm versprochen, in der Bibliothek zu bleiben.
Doch dort war er nicht. Er musste durch die Tür in das andere Zimmer gegangen sein, und damit hatte er ein Versprechen gebrochen, was Robby nicht akzeptieren wollte, denn so etwas hatte sein Großvater noch nie getan. Er hatte sich immer auf ihn verlassen können, und deshalb glaubte er auch jetzt nicht so recht daran.
Robby rief nach dem Großvater.
Er erhielt keine Antwort. Nach seinem Ruf kam ihm die Stille doppelt so schwer vor.
Robby Asher dachte auch jetzt nicht daran, auf dem Absatz kehrtzumachen und das Haus zu verlassen. Zu stark war die Bindung zwischen Enkel und Großvater. Er wollte wissen, was mit ihm geschehen war.
Er rief ein zweites Mal. Auch jetzt antwortete Grandy nicht.
Robby merkte, dass die Angst wieder zurückkehrte. Er traute sich trotzdem weiter vor, ging aber mit möglichst leisen Schritten und mit nach vorn gestrecktem Kopf, auf dem sich die Gesichtshaut zusammengezogen hatte.
Der Tisch kam ihm ungeheuer groß und wuchtig vor. Er bestand aus einer dicken ovalen Holzplatte. Zehn Leute konnten an ihm bequem sitzen und lesen. Jetzt aber war er leer und deshalb machte er auf den Jungen einen noch größeren Eindruck.
Er konnte auch bequem unter ihn schauen, was er tat. Ihm fiel der gebogene Fuß auf, der sich zur Platte hin verjüngte und sie dort abstützte wie eine riesige Hand.
Der Fuß war dunkel. Er war mächtig. Aber er hatte eine bestimmte Form, die der Junge kannte.
Jetzt nicht mehr!
Etwas war anders geworden. An der Seite des Tischfußes breitete sich ein Schatten aus, der nicht nur flach auf dem Boden lag, sondern noch darüber hinwegschaute.
Robby hatte ihn bei seinen Besuchen hier nie gesehen. Jetzt sah er ihn und erkannte, dass der Schatten neu war.
Er ging hin. Bei jedem Schritt verstärkte sich die Angst.
Da lag jemand!
Es war ein Mensch, der sich nicht bewegte. Robby sah es deutlich, denn dieser Mensch hatte seinen linken Arm ebenso vorgestreckt wie seine Hand. Die Finger waren dabei gespreizt, und am kleinen Finger sah er den Ring mit den Goldplättchen darauf.
Er wusste Bescheid!
Robby riss den Mund auf. Er schrie nicht, sondern ging mit zittrigen Schritten weiter und fiel schließlich neben der Hand auf die Knie. Er brauchte seinen Kopf kaum zu drehen. Das wächserne Gesicht des Großvaters lag zum Greifen nahe vor ihm, aber er sah auch das viele Blut, das sich unter seinem Kopf ausgebreitet hatte…
***
Für jeden Erwachsenen wäre dieser Anblick ebenfalls ein Schock gewesen. Für ein Kind war er um so schlimmer. Auch deshalb, weil Robby seinen Großvater so geliebt hatte.
Es war der erste Tote, den er richtig sah. Seine Großmutter hatte er als Leiche nicht gesehen, aber jetzt lag Grandy vor ihm. Er würde nie mehr mit seinem Enkel spielen, er würde ihm nie mehr Geschichten erzählen. Er würde nie mehr mit ihm durch den Wald gehen oder gemeinsam ein Kino besuchen.
Grandy war tot!
Tot! Tot! Tot!
Nur dieses eine Wort beschäftigte den Jungen. Robby war nicht in der Lage, zu schreien, was ihm vielleicht gut getan hätte, so starr wie sein Großvater auf dem Boden lag, so saß er neben der Leiche.
Er sah ihn, und er sah ihn zugleich nicht.
Sein Blick war nach innen gerichtet, obwohl er dem Anblick der weit geöffneten Augen nicht entkommen konnte. In ihnen war kein Leben mehr vorhanden, trotzdem glaubte der Junge, dass sein Großvater in den letzten Sekunden seines Lebens eine große Angst und Überraschung gespürt haben musste. Er konnte selbst nicht sagen, wie er darauf kam. Es war mehr eine Eingebung, die ihn erfasste.
Und er sah noch etwas.
Das viele Blut. Es roch sogar. Es stammte von seinem Großvater. Robby musste den Kopf nur etwas senken und leicht drehen, um zu erkennen, was wirklich geschehen war.
Das viele Blut war aus einer Wunde an der Brust gelaufen.
Sie war so groß, dass sie sich bis zum Hals hinzog, wo keine Kehle mehr zu sehen war.
Zum Glück hatte ein bestimmter Mechanismus die Herrschaft bei Robby übernommen. Er sah dieses schreckliche Bild zwar, aber er nahm es nicht richtig in sich auf. Etwas stellte sich zwischen ihn und den toten Großvater. Die Erinnerung würde ihn später erwischen, aber das war ihm nicht klar. Er hockte vor dem Toten und kam sich selbst vor wie ein Fremder. Er atmete hechelnd. Er spürte den Druck in der Brust - und er schrak zusammen, als er von der
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