1249 - Bibliothek des Grauens
aus.«
Wir wussten wie der Hase lief. Es war einer der wenigen Fälle, die Sir James persönlich angingen, weil er das Opfer gekannt hatte und Suko und mich nun bat, dass wir uns um den Fall kümmerten. Bisher waren seine Vermutungen immer eingetroffen, und auch hier sah es aus, als hielte er wieder das Ende eines roten Fadens in der Hand.
Er spürte allerdings auch, dass es nicht die richtige Runde war, in der er saß. Er wollte nicht mit dienstlichen Dingen fremde Menschen behelligen, und so kam ihm mein Vorschlag gerade recht.
»Sollen wir nicht ins Büro gehen?«
»Das halte ich für angebracht. Wir können fahren, ich habe den Fahrer draußen warten lassen.«
Das war wieder typisch für ihn. Sir James hatte schon vorausgesehen, wie es laufen würde.
Suko und ich erhoben uns von unseren Stühlen, während Bill und Jane sitzen blieben.
»Jetzt muss ich alles allein trinken«, beschwerte sich der Reporter.
»Nein, Jane, hilft dir.«
»Da muss ich Sheila anrufen, dass sie uns abholt.«
Ich hob die Schultern. »Dienst ist Dienst, Bill.«
Jane stieß mich an. »Aber über Absalom reden wir noch.«
»Klar. Kann ja sein, dass er sich mal wieder zeigt und wir dann auch in London sind.«
Jane zwinkerte mir zu. »Viel Spaß dann noch.«
»Danke, gleichfalls.«
Ob es spaßig werden würde, das war die große Frage. Ich glaubte nicht daran, denn ich hatte aus Sir James' Verhalten abgelesen, dass er diesem neuen Fall, von dem Suko und ich noch nichts wussten, viel Bedeutung beimaß.
»Riecht das nach Ärger?«, fragte Suko.
»Nein, nach einem neuen Fall, der Sir James nicht kalt gela ssen hat, glaube ich.«
»Wir werden sehen.«
Der Fahrer hielt unserem Chef die Tür auf. Wir stiegen hinten ein. London hatte sich von der schönen, klaren, winterlichen Kälte verabschiedet. Die Temperaturen waren wieder über den Gefrierpunkt geklettert, und nur der Himmel über der Stadt sah aus wie schmutziges Eis, das sich zusammengeklumpt hatte.
Es war nicht weit bis zum Yard, aber es wurde weit, weil wir drei Staus zu überstehen hatten.
Sir James sprach während der Fahrt nichts. Er vertiefte sich in irgendwelche Unterlagen, die er auch mit in sein Büro nahm.
Er hatte zwischendurch Glenda Perkins angerufen, denn er wusste schon, womit er uns eine Freude machen konnte.
Der Kaffee war ebenso frisch wie auch der Tee. Glenda brachte beides und stellte uns die Tassen zurecht. Dann verschwand sie mit einem mokanten Lächeln. Sie wusste, wo Sir James uns weggeholt hatte, und ihre Schadenfreude konnte sie nicht verbergen.
Unser Chef entschuldigte sich noch einmal dafür, dann kam er zur Sache und schlug zugleich die schmale Akte auf.
»Der Mann, um den es geht, heißt Sir Ronald Asher. Er wurde in einem seiner Häuser umgebracht. Genauer gesagt, in seiner Bibliothek.«
»Und Sie kennen ihn aus dem Club?«, setzte ich nach.
»Ja.«
»Wie brachte man ihn um?«, fragte Suko.
Eigentlich hätte jetzt eine klare Antwort kommen müssen, aber die kam nicht, denn Sir James breitete die Arme aus und ließ sie dann wieder fallen. Seine Hände blieben auf der Schreibtischplatte liegen. »Genau das ist die Frage, obgleich jemand seinen Mörder wohl gesehen hat.«
»Ein Zeuge.« Ich lachte. »Das ist ja…«
»Anders als Sie denken, John. Der Zeuge war Robby Asher, der Enkel des Toten. Beide waren in die Bibliothek des Hauses gegangen, um dort nach dem Rechten zu schauten. Der Junge ließ seinen Großvater allein den Raum betreten und blieb selbst zurück. Wenig später hörte er einen Schrei und ein Poltern. Er schaute nach und fand seinen Großvater schrecklich zugerichtet.« Sir James griff nach einem Umschlag, den er schon geöffnet hatte. Er drehte ihn herum, sodass einige Fotos herausglitten, die er uns reichte.
Es waren sechs Aufnahmen. Alle farbig. Suko bekam drei, ich nahm mir den Rest.
Wir fächerten sie auseinander und mussten beide schlucken, als wir die Leiche sahen. Sie lag unter einem großen Tisch, und Sir Ronald Asher war auf eine schlimme Art und Weise vom Leben in den Tod befördert worden. Seine Brust bestand aus einer einzigen großen Wunde, die sich sogar bis zum Hals hinzog.
»Und das alles hat der Junge ebenfalls gesehen?«, fragte ich leise.
»Ja, John. Er war als Erster am Tatort.«
Ich ließ die Fotos sinken und strich mit einer Hand über mein Gesicht hinweg. Das war verdammt hart, so etwas zu sehen.
Auch für uns. Was musste erst der Junge durchgemacht haben?
»Wie geht es Robby denn
Weitere Kostenlose Bücher